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Verführerische Unschuld

Verführerische Unschuld

Titel: Verführerische Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CHRISTINE MERRILL
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entfuhr ihr sofort ein leises Stöhnen. Ah ja, der Brandy war mit Laudanum versetzt gewesen. Radwell hatte gesagt, das diene zur Entspannung; dass sie jedoch völlig bewusstlos sein würde, wenn es so weit war, hatte sie nicht erwartet. Konnte er das genossen haben? Wahrscheinlich hatte sie wie eine Tote dagelegen. Wenn die spanische Dame vom Vortag seinen Geschmack widerspiegelte, musste er an lebhaftere Gesellschaft gewöhnt sein.
    Außer …
    Stirnrunzelnd überlegte sie. Sah man von dem Kopfweh ab, fühlte sie sich kein bisschen anders als vorher. Von dem Vorgang an sich hatte sie nur eine äußerst verschwommene Vorstellung, doch angeblich sollten Blut und Schmerz damit verbunden sein. Sie erinnerte sich jedoch an nichts; der Captain schien ihre Kleider nicht einmal angerührt zu haben, denn sie lag völlig bekleidet auf diesem Bett, wenn auch ohne Schuhe.
    „Ich sehe, Sie sind wach. Darf ich Ihnen Tee anbieten? Oder ziehen Sie Schokolade vor?“, fragte eine freundliche Frauenstimme.
    Esme wandte den Kopf nach der Sprecherin. Sie sah eine Dame mit kastanienfarbenen, elegant frisierten Locken vor sich, die in ein schlichtes, doch mit Sicherheit teures Kleid von hervorragendem Schnitt gekleidet war. Esme blickte sich im Zimmer um. Auch das spiegelte luxuriöse Eleganz wider. Was immer sie beim Aufwachen erwartet haben mochte – das hier auf jeden Fall nicht.
    „Sie fragen sich zweifellos, wo Sie sind“, fuhr die Frau fort. „Ich bin die Gemahlin des Duke of Haughleigh – das ist St John Radwells Bruder –, und Sie befinden sich in unserem Haus.“
    Esme fuhr hoch. „Der Duke of Haughleigh ist sein Bruder? Und Sie müssen …“
    „Ich bin Miranda. Sagen Sie einfach Miranda zu mir. Aber wie heißen Sie? Radwell versäumte es, uns ins Bild zu setzen.“
    „Esme Canville, Euer Gnaden.“
    Die Frau lachte. „Bitte, ich sagte doch, lassen Sie das ‚Euer Gnaden‘. Ich bin Miranda. Und darf ich Sie Esme nennen?“
    „Natürlich.“ Wie seltsam. Sie überlegte ihre nächsten Worte sorgfältig. „Wie bin ich hierhergekommen? Sie sagten, Captain Radwell brachte mich her? Aber heißt es nicht, dass die Brüder sehr entfremdet seien? Ich habe ganz gewiss nicht erwartet …“
    „Diese Entfremdung wurde kurzfristig überbrückt, da Captain Radwell sehr um Ihr Wohlergehen besorgt war. Und mit Recht. Vielleicht ist Ihnen nicht klar, wie sehr Sie Ihren Ruf gefährdeten, als Sie ihn um Beistand baten.“
    Esme setzte sich auf, um die Teetasse von Miranda entgegenzunehmen. „Oh doch, dessen war ich mir bewusst. Tatsächlich hatte ich genau das beabsichtigt. Wenn man entehrt werden möchte, wäre es unvernünftig, einen Ehrenmann aufzusuchen.“
    „Sie wollen entehrt werden?“ Mirandas Hand mit der Teetasse erstarrte mitten in der Luft.
    „Ich wollte ein einziges Mal der Untaten schuldig sein, für die ich stets bestraft werde. Hört sich das merkwürdig an?“ Sie unterbrach sich. „Wahrscheinlich. Ich will es zu erklären versuchen. Mein Vater ist ein hochmütiger, auf Anstand bedachter Mann, der das einfache Leben schätzt, Zierrat und Gefallsucht verachtet und die Gesellschaft meidet, da er sie der Dummheit und der Gefährdung des Seelenheils bezichtigt, weswegen er mein Leben auf die gleiche Art gestaltet. Seide und Putz sind Geldverschwendung, und üppige Dinnereinladungen und Tanzveranstaltungen sind nur eine Ausrede, um sich den Sünden des Fleisches ergeben zu können, was um alles in der Welt vermieden werden muss.“
    „Nun …“, Miranda suchte sichtlich nach Worten, die nicht zu kritisch klingen würden, „… es zeugt natürlich von edlem Streben, die Seele reinzuhalten und Ausschweifungen zu meiden.“
    „Wenn wir das alle täten, wäre die Welt bestimmt ein Paradies. Aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass sie unglaublich langweilig wäre.“
    Miranda sagte missbilligend: „Langeweile ist nicht das schlimmste Schicksal, das eine junge Dame ereilen kann.“
    „Nein, das nicht. Viel schlimmer wäre es wohl, mich an einen Gatten binden zu müssen, den ich bisher nicht einmal kennenlernen durfte und der alt genug ist, mein Vater zu sein. Wobei ich mir, dem Blick nach zu urteilen, mit dem er mich gestern musterte, als ich ihn auf der Straße sah, nicht sicher sein kann, dass er die Nächte mit mir betend verbringen will.“
    „Oh!“ Miranda wählte ihre nächsten Worte sehr sorgfältig. „Aber immerhin wäre da der Vorteil, verheiratet zu sein. Wohingegen das Leben, das Radwell Ihnen

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