Verführerische Unschuld
es außer Acht lassen kann. Ich will Marcus deswegen fragen, er kennt jeden bedeutenden Mann. Im Übrigen sollte ein Bewerber jung genug sein, um Ihnen zu gefallen, und alt genug, um auch Ihrem Vater zuzusagen.“ Nach einem anerkennenden Blick auf Esme begann sie, Namen zu notieren. „Hier aus unserer Gegend wüsste ich mehrere Kandidaten, und ich habe auch schon einen Angriffsplan.“
„Das klingt, als handelte es sich um eine Schlacht.“
Miranda lächelt. „Aber es ist eine, meine Liebe. Oder vielleicht doch nur ein Spiel. Die Herren glauben, sie hätten stets die Oberhand, doch auf diesem Felde werden sie ständig besiegt, wenn eine Frau erst einmal beschließt, dieses Spiel zu spielen. Ich werde eine Reihe Gesellschaften geben, um meine neue Freundin aus London zu unterhalten.“ Sie wedelte mit dem Federhalter in Esmes Richtung. „Natürlich wäre es schrecklich unhöflich, mir abzusagen. Es steht übrigens …“, sie schaute in ihre Liste, „… drei zu eins für Sie.“
„Und aus diesen dreien soll ich einen wählen?“
„Drei genügt voll und ganz, versichere ich Ihnen“, sagte Miranda lachend. „Jeder käme infrage, ich würde Ihnen keinen unpassenden Herrn vorschlagen. Lernen Sie sie erst einmal kennen, und wenn Sie jemanden entdecken, der Ihnen besser gefällt als diese, dann setzen Sie eben auf den. Sie müssen sich nicht mit meiner Auswahl zufriedengeben. Und wenn Sie unsicher sind, berate ich Sie.“
Zweifelnd schaute Esme sie an. „Mehr ist da nicht dran? Ich werde den Herren vorgestellt, und einer wird bestimmt um mich werben?“
Miranda stand auf, trat an Esme heran und zog sie an den Händen vom Sessel hoch. Dann führte sie sie zu dem hohen Spiegel an der Zimmerwand. „Ich denke schon. Sehen Sie sich doch an! Sie sind entzückend.“
„In geborgtem Putz“, entgegnete Esme.
„Nicht geborgt. Geschenkt. Ich habe mehr Garderobe als nötig, und ich wollte so gern wieder einmal einkaufen. Sie auszustatten, hat mir großes Vergnügen gemacht.“
„Wenn Ihre Schränke so voll sind, hätten es auch abgelegte Sachen getan.“
„Für Sie mit Ihrem blonden Haar und der hellen Haut? Auf keinen Fall! Die Farben, die ich tragen kann, wären für Sie ganz unvorteilhaft, Ihnen stehen zarte Farben wie Rosé und Hellblau am besten.“
„Aber wenn fast alle Gesellschaften am Abend stattfinden, war es bestimmt nicht nötig, so viele Tageskleider zu kaufen.“
„Es macht sich bezahlt, auf alles vorbereitet zu sein. Man kann nie wissen, wen man im Laufe des Tages trifft.“
Vor Esme erstand der Ausdruck auf Radwells Gesicht, als er sie in der Eingangshalle erblickt hatte. Dass er anwesend sein würde, war ihr von Miranda gesagt worden, mit der Bemerkung, dass Esmes Debüt dazu genutzt werden sollte, die Brüder zu versöhnen. Allerdings war sie davon ausgegangen, dass er gelangweilt an dem einen oder anderen Fest teilnehmen oder zu einem Dinner im Familienkreis geladen sein werde. Sie hatte kaum gehofft, ihn im Hause seines Bruders als Mitbewohner zu finden, der gar am Portal auf die Ankunft der Familie wartete.
Seine verblüffte Miene, als er sie in ihren neuen Gewändern erblickte, war jedes Risiko wert gewesen, ebenso wie seine offensichtliche Verwirrung, als er sich mit ihr allein sah. Dieses Glück würde ihr so bald nicht wieder zuteil, da Miranda offensichtlich als gewissenhafte Anstandsdame aufzutreten gedachte.
Nur mühsam wandte Esme ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Gastgeberin zu.
„Wissen Sie“, erklärte Miranda, „wenn wir wollen, dass die Herren Ihnen mehr als einen Blick schenken, müssen Sie sich immer von Ihrer besten Seite zeigen. Verzeihen Sie die Bemerkung, aber die Ausstattung, die Ihr Vater Ihnen zugesteht, ist sehr unkleidsam.“
„Die ist mit Bedacht so. Sie ist zweckdienlich und preiswert.“ Sie glaubte die groben kratzigen Stoffe auf ihrer Haut zu spüren; selbst im heißen Sommer musste es Wolle sein und immer in trübsinnigen unempfindlichen Grau- und Brauntönen. Wohlgefällig betrachtete sie im Spiegel den gesunden Schimmer ihres Teints und die Wölbung ihres Busens unter dem rechteckig ausgeschnittenen Tageskleid. „Mein Vater würde jedes dieser Kleider unerträglich finden, samt der Person, die darin steckt. Aber mir gefallen sie.“
„Und siewerden den Herren gefallen. Da ist zum Beispiel Mr. Webberly, der zurzeit noch keinen Titel trägt; er ist fünfundzwanzig und wird den Besitz seines Vaters erben. Dann der Earl of Baxter, der
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