Verführerische Unschuld
Aufmerksamkeiten sehr willkommen sind – versteh mich, nicht, dass ich sie ihr zuteilwerden lassen wollte.
Eine schwierige Lage.“
„Mit der du ja bestimmt vertrauter bist als ich. Durch lange Übung weißt du gewiss, wo harmlose Tändelei aufhört und unbotmäßiges Betragen beginnt. Wenn die junge Dame so unerfahren ist, wie sie wirkt …“
„Da gibt es kein ‚wenn‘, Marcus. Natürlich ist sie unerfahren. Sie ist eine echte Unschuld.“ Er brach ab, als er den forschenden Blick seines Bruders bemerkte. Spielte es denn eine Rolle, welche Meinung Marcus von Esmes Charakter hatte? Sie würden sie schnell genug los sein. Er nahm abermals das Wort. „Wenn sie wirklich über diese Dinge Bescheid wüsste, hätte sie sich mir nicht derart angeboten. Und ich mag vielleicht geschickt genug sein, um ihr Herz zu brechen und gleichzeitig ihre Tugend unversehrt zu lassen, aber ich muss nicht auch noch Vergnügen daran haben. Weitere Regeln?“
Als Marcus die nächsten Worte sprach, wirkte er beinahe traurig. „Du wirst dich von meiner Gattin und meinen Kindern fernhalten, solange ich nicht zugegen bin. Zwar finde ich unseren Waffenstillstand erfreulich, vermag dir jedoch in Bezug auf die Menschen, an denen mein Herz hängt, nicht zu trauen. Um der liebe Onkel zu sein oder Miranda rein brüderlich zu begegnen, dazu ist es für dich zu spät. Wenn du versuchst, dich Liebkind zu machen, werfe ich dich eigenhändig hinaus. Ist das klar?“
Radwell unterdrückte den Wunsch, darauf hinzuweisen, dass Marcus sich damit vielleicht zu viel vorgenommen hatte. Um Ruhe bemüht, sog er tief die Luft ein. „Gut also, ich habe kaum etwas anderes erwartet oder meinetwegen auch verdient, denkt man an mein früheres Betragen …“, er atmete noch einmal tief ein, „… für das ich mich entschuldige.“
Auf die letzten Worte folgte Schweigen.
Was hatte er denn anderes erwartet? Hierher zurückkehren, ein paar simple Worte sprechen und dann von seinem Bruder mit offenen Armen aufgenommen werden? Zu denken, dass man die Uhr zurückdrehen und alles ungeschehen machen könnte, war närrisch und unvernünftig. Doch zumindest musste er es versuchen.
„Ich weiß, eine Entschuldigung genügt nicht, aber was sonst könnte ich tun? Ich werde mich bemühen, deine Regeln einzuhalten. Ich gebe dir mein Wort darauf.“ Damit streckte er seinem Bruder die Hand entgegen.
Nach einer langen Pause ergriff Marcus die ihm dargebotene Hand und drückte sie kräftig. Aber er lächelte nicht, während er Radwell mit festem forschendem Blick in die Augen schaute.
5. KAPITEL
„Also dies ist mein Plan.“ Miranda knabberte an ihrem Federhalter und starrte auf das Blatt Papier, das vor ihr lag.
Nicht zum ersten Mal wunderte Esme sich, dass die elegante Frau, die vor ihr saß, sich für einen solchen Niemand, wie sie es war, interessierte. Und doch wirkte die junge Herzogin ehrlich bemüht.
Sie saßen im Morgensalon am Kaminfeuer, und als Esme sich nun ein wenig in ihrem Sessel zurechtrückte, raschelte der Stoff ihres neuen Kleides. Auch die Sache mit ihrer Kleidung gehörte zu den erstaunlichen Dingen, die ihre Gönnerin beharrlich durchgesetzt hatte, sodass Esme, als sie London verließen, zwei Koffer, angefüllt mit Kleidern, Schuhen, Häubchen, Hüten und allen Accessoires, die man sich nur wünschen konnte, ihr Eigen nennen konnte. Außerdem hatte Miranda versprochen, ihr für jeden gesellschaftlichen Anlass den passenden Schmuck auszuborgen.
Abermals überflog Miranda ihre Gästeliste. „Sie brauchen einen Ehemann, das wäre überaus angeraten.“
Um ihre überschwängliche Gastgeberin nicht zu kränken, zögerte Esme kurz, ehe sie sagte: „Ich brauche und möchte keinen Ehemann, sondern ich will nur den loswerden, den mein Vater für mich ausgesucht hat.“
„Am ehesten gelänge das, wenn Sie einen anderen vorweisen könnten. Möglichst einen von so hoher Geburt, dass ihr Vater dem nicht widerstehen kann. Wie ist denn der Mann gestellt, dem Sie versprochen sind?“
„Er ist ein Earl, Lord Halverston. Über sein Vermögen weiß ich nichts, aber er muss auf die achtzig zugehen und ist ein angesehenes Mitglied der vornehmen Gesellschaft.“ Beim Gedanken an den anzüglichen Blick, den der Mann aus seiner Kutsche heraus auf sie gerichtet hatte, erschauerte Esme angewidert.
„Dann müssen wir Ihnen also einen Earl suchen oder gar noch Hochrangigeres. Oder jemanden ohne Titel, aber mit einem so großen Vermögen, dass kein kluger Vater
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