Verführerische Unschuld
außerordentlich reich ist und vom Alter her Ihrem Vater zusagen würde. Er ist fast fünfzig, was jedoch nicht zu alt ist, versichere ich Ihnen, denn er erfreut sich bester Gesundheit und wirkt sehr jugendlich. Schließlich Sir Anthony de Portnay Smythe.“ Sie runzelte überlegend die Stirn. „Sein Alter kenne ich nicht, und auch seine Abstammung ist mir nicht geläufig. Mag sein, dass er nicht die klügste Wahl wäre, aber er tritt immer sehr vornehm auf und sieht, wie ich zugeben muss, umwerfend aus.“
„Und was ist mit Ihrem Schwager?“ Esme gab sich alle Mühe, nicht zu eifrig zu wirken. „Er ist doch unvermählt und außerdem alt genug zum Heiraten.“
Miranda sah ihr forschend in die Augen, ehe sie antwortete: „Er ist alt genug, jedoch nicht geneigt. Und es war nur gut, dass er in den letzten fünf Jahren ein wenig zur Vernunft gekommen ist, sonst säßen wir beide nun nicht hier. Früher hätte er Sie in einem netten kleinen Apartment untergebracht, ohne kirchlichen Segen, und wo ständen wir dann wohl?“
Esme wollte sich lieber nicht ausmalen, wie es wäre, mit dem schneidigen Captain allein zu sein, denn bei dem Gedanken stieg ihr die Röte in die Wangen.
Stirnrunzelnd sagte Miranda: „Sie dürfen das Leben einer Mätresse nicht romantisch verklären. Es ist nicht so glänzend, wie Sie denken. Sie kämen vom Regen in die Traufe.“
„Mag sein.“ Aber wieder dachte Esme daran, wie Radwell sie in der Halle angesehen hatte. Zuerst hatte er sie für eine Bedienstete gehalten, und als er bemerkte, dass sie jung und hübsch war, hatte er sie näher betrachtet, und Jagdfieber war in seinen Augen aufgeblitzt. Ihr Anblick hatte ihm gefallen. Mit einem solchen Mann allein zu sein, bedeutete den sicheren Untergang.
Aber sie erinnerte sich auch an seine Verlegenheit, als er sie erkannte, und wie rasch er fortgeschaut und ihr erst wieder einen Blick geschenkt hatte, als er glaubte, sie bemerke es nicht. So, als ob er ganz unerwartete Gefühle an sich festgestellt hätte.
Esme nahm ihren Satz wieder auf. „Aber Sie sagten doch, wenn ich jemanden fände, der mir besser gefällt, könne ich ihn ruhig ermutigen.“
Zwar schaute Miranda sehr streng drein, doch insgeheim lächelte sie, wie Esme sehen konnte. „Mein Schwager ist viel zu ungezügelt, und außerdem zeigt er keine Neigung zu einer festen Bindung. Wenn Sie immer noch heimlich den törichten Gedanken nähren, seine Mätresse zu werden, und wenn er den noch törichteren Gedanken hegt, Ihnen zu Ihrem Ruin zu verhelfen, werde ich alles nur Mögliche tun, Ihnen beiden Einhalt zu gebieten. Obwohl wir uns erst so kurze Zeit kennen, schätze ich unsere Freundschaft sehr, Esme. Es täte mir leid, wenn Sie diese aufs Spiel setzten. Als Radwells Geliebte wären Sie bei uns nicht mehr willkommen. Außerdem sind mir die Bande zwischen meinem Gatten und seinem Bruder zu kostbar, als dass ich wünschen könnte, meinen Schwager wieder in seine früheren Gewohnheiten zurückfallen zu sehen. Wenn Sie ihn wirklich dazu bringen können, an die Gründung einer Familie zu denken, täten Sie uns einen großen Gefallen, und ich würde Sie nur zu gerne meine Schwester nennen, aber zuerst einmal wäre es klüger, die anderen Kandidaten in Betracht zu ziehen und nicht alle Karten auf einen so schwachen Trumpf wie Radwell zu setzen. Kommen Sie, gehen wir hinunter zum Lunch und zeigen meinem Gemahl diese Liste; vielleicht fallen ihm noch ein paar weitere Namen ein.“
Das Speisezimmer, das an Pracht den anderen Räumen des Hauses nicht nachstand, war für drei Personen viel zu groß. Man hatte die vier Gedecke am Ende des großen Tisches aufgelegt; dem Duke gebührte der Stuhl am Kopf der Tafel, und Miranda und Esme saßen rechts und links von ihm. Der wohl für Radwell vorgesehene Platz neben Esme war noch leer.
Die Speisen waren köstlich, doch die Unterhaltung, die Miranda auf die geplanten Einladungen und die Gästeliste lenkte, schleppte sich ungemütlich hin, ganz anders als die Tischgespräche im Londoner Haushalt des Herzogs. Zuerst fürchtete Esme, der Duke billige die Kosten für all die geplanten Vergnügungen nicht, oder ihm wäre ihre Anwesenheit nicht genehm. Gewiss missfiel manchem Ehemann ein solcher Eindringling im familiären Kreis auf dem Lande, der ihn im bunten Trubel des Stadtlebens nicht gestört hatte.
Doch als eine Speise nach der anderen vorgelegt und unberührt vom Platz neben ihr wieder abgetragen wurde, merkte sie, dass nicht sie für die
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