Verführerische Unschuld
überhaupt ein Spiel?“
„Kaum eines. Auch das betrachtete mein Vater als sündig. Also müssen Sie es mich lehren. Aber wir haben ja die ganze Nacht vor uns.“ Sie nahm das Kartenspiel von einem Beistelltisch und reichte es Radwell.
Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Hier sitze ich spät in der Nacht allein mit einer schönen Frau, die nur spärlich bekleidet ist. Dieses Traumbild kniet vor mir und will mir mein Leiden erleichtern. Und dann spielen wir Karten! Esme Canville, Sie müssen schwören, dass Sie das niemals irgendwo erwähnen werden, sonst ist mein Ruf als gefährlicher Frauenheld endgültig dahin.“ Er begann die Karten zu mischen. „Gut denn. Da Sie so ungeübt sind, spielen wir ohne Einsatz. Fangen wir mit etwas Leichtem an.“
Die Uhr schlug vier, als er Esme endlich zu Bett schickte.
„Und was machen Sie nun?“ Sie sah, dass er ebenfalls sehr müde war, doch wirkte sein Gesicht nicht mehr so angespannt.
„Ich?“ Er lächelte schwach. „Ich bleibe noch ein Weilchen auf. Die frühen Morgenstunden sind so friedlich. Am leichtesten kann ich einschlafen, wenn die ersten Vögel zu singen beginnen.“ Er begleitete sie bis zur Tür, wo er unversehens ihre Hand ergriff und an seine Lippen führte. „Danke, Esme. Sie hatten recht; Ihr Bleiben hat geholfen.“
Innerlich jubilierte sie wie die ersten Vögel draußen. „Morgen Abend komme ich wieder her.“
„Eigentlich sollte ich ablehnen, schließlich muss einer von uns an Ihren Ruf denken.“
„Eigentlich! Doch lehnen Sie nicht ab. Ich kann Ihnen die Müdigkeit nicht nehmen, aber wenigstens kann ich helfen, dass die Zeit schneller vergeht. Sie brachten mich hierher, wo ich Freiheit kosten konnte und die Freundschaft Ihrer Angehörigen erleben durfte; damit haben Sie sehr viel für mich getan. Ich hingegen habe Ihnen bisher nur Kummer gemacht. Deshalb erlauben Sie mir, diese Kleinigkeit für Sie zu tun.“
„Also gut.“ Leise schloss er die Tür hinter ihr.
Am nächsten Abend in der Bibliothek fühlte er sich rastlos wie ein Tier im Käfig. Unstet sprang er wieder und wieder auf und lief im Zimmer umher. Zwar fürchtete er, wenn Esme ihn so sah, werde Sie seine Ruhelosigkeit als Schwäche auslegen, doch es schien ihm förmlich in den Beinen zu kribbeln, sodass er seinen Marsch abermals aufnahm.
Eigentlich sollte ihm gleichgültig sein, was sie dachte, und genau genommen dürfte er gar nicht zulassen, dass sie hier mit ihm wachte; es war unschicklich, so unschuldig es bisher auch abgelaufen war. In seinem augenblicklichen Zustand sollte er jedoch besser nicht ein Laster durch das andere ersetzen, so verlockend es war. Aber es hatte ihm so gutgetan; er hatte kaum gemerkt, wie die Stunden verrannen, und sie war so freudig bereit gewesen, ihm zu helfen. Weder hatte er die Kraft noch den Wunsch, sie zurückzuweisen.
Als die Uhr auf dem Kaminsims zwölf schlug, begann er ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Ob sie vernünftig genug war, nicht zu kommen? Vielleicht war sie auch wegen der gestrigen schlaflosen Nacht so müde, dass sie sich früh zurückgezogen und ihr Versprechen vergessen hatte. Ihm war nicht entgangen, dass sie bereits am Vormittag in der Kirche während der Predigt eingenickt war.
Aber die Aussicht, ohne sie auskommen zu müssen, erschien ihm kaum erträglich. Nachdem sie sich in der vorigen Nacht zurückgezogen hatte, war er in der Bibliothek selig eingeschlummert und erst erwacht, als Marcus ihm einen ermunternden Stoß versetzt und gefragt hatte, was er hier treibe. Fahrig hatte er erläutert, dass er wegen seiner Schlaflosigkeit des Nachts Patiencen lege, doch sein Bruder hatte vielsagend den zweiten Stuhl gemustert. Nun, wenn er erraten hatte, wer ihm gestern Gesellschaft leistete, so hatte er sich stillschweigend damit einverstanden erklärt. Ob das Eheleben ihn milder stimmte?
Ah, das Türschloss klickte! Eilig ließ Radwell sich in gespielt lässiger Pose auf das Sofa sinken, da trat Esme auch schon ein. „Ah, sind Sie also doch noch gekommen?“
„Wie ich versprochen hatte.“ Sie setzte sich ihm gegenüber, während er bereits die Karten mischte.
„Ich hatte kaum noch mit Ihnen gerechnet.“
„Miranda kam zu mir herauf. Sie wollte hören, was ich von den Herren halte, die ich auf dem letzten Ball kennenlernte. Außerdem mahnte sie mich, dass ich an meinen Ruf denken müsse. Sie befürchtet wohl, ich sei Ihnen noch immer sehr gewogen. Ich konnte sie wohl kaum mit der Begründung
Weitere Kostenlose Bücher