Verführerische Unschuld
hatte sie seinen Tonfall im Ohr, der ihr die schmerzlichsten Folgen versprach, wenn sie nicht gehorchte.
„Sehen wir also, ob mein letzter Kandidat deinen Vorstellungen gerecht wird. Aber dieses Mal soll es nichts so Förmliches wie ein Ball sein. Vielleicht eine Kartenpartie, mehrere Tische mit Vierergruppen, und nur ein kleiner Imbiss. Ganz schlicht.“
„Eine Kartenpartie?“ Esme dachte an das, was sie so erfolgreich mit Radwell gespielt hatte, und spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg.
„Du spielst doch Whist?“
„Nicht sehr gut.“
„Keine Sorge, dann spielen wir zur Übung heute Abend ein paar Runden. Du kannst dich mit Radwell zusammentun.“
„Das wäre … sehr interessant.“ Sie versuchte, ganz unbefangen zu klingen.
Also saßen sie am Abend in der Bibliothek, an demselben Tisch, an dem sie in der vorherigen Nacht mit Radwell gespielt hatte. Die Partie verlief recht gut. Esme war besser, als sie sich zugetraut hatte, obwohl sie sich mit einem Partner, der weniger scherzhaft aufgelegt war, sicher besser hätte konzentrieren können.
Während Miranda wieder einmal ihren Gewinn einstrich, meinte sie: „Ihr spielt gut zusammen, du und Radwell, auch wenn ihr diese Runde verloren habt.“
„Was, verloren? Ich habe gar nicht darauf geachtet.“ Er klopfte mit einem Finger auf die Tischplatte. „Ich bewunderte gerade dieses Tischchen. Ist es neu?“
Esme trat unter dem Tisch unauffällig nach Radwell, traf aber zu ihrer Verlegenheit versehentlich den Duke, der leicht zusammenzuckte, doch nicht weiter reagierte.
„Teil aus und rede keinen Unsinn! Du weißt, dieser Kartentisch stand zusammen mit seinem Pendant da drüben schon in der Bibliothek, als wir noch Kinder waren.“
„Er ist aber noch ziemlich stabil!“ Radwell rüttelte an dem Tisch.
Marcus nahm hastig sein Glas auf, ehe es überschwappte. „Wenn du schon die Möbel ruinieren musst, warte, bis ich mein Glas geleert habe.“
„Hören Sie das, Esme? Mein Bruder erlaubt mir, die Möbel zu zerstören.“ Er lachte sie an.
„Kein Portwein mehr für dich!“ Marcus nahm ihm das Glas fort und füllte sein eigenes mit dem Inhalt auf.
„Es gibt ein Pendant?“ Esme funkelte Radwell wütend an.
„War Ihnen das nicht aufgefallen? Dort drüben vor dem Fenster steht der andere. Es gab mal drei dieser Tische, aber sie sind nicht sehr stabil. Die Beine …!“ Ein weiteres Mal rüttelte er an dem Möbel.
„Ich glaube, der dritte steht oben in der Bildergalerie“, erklärte Miranda und setzte an: „Esme, hat Radwell dir schon die Ahnenporträts gezeigt?“
Doch der Duke mahnte ungeduldig: „Wie wäre es, wenn wir nun weiterspielen?“ Also widmeten sie sich wieder stumm ihren Karten.
Als sie später bei ihrem nächtlichen Treffen allein in der Bibliothek waren, stand Esme in empörter Pose anklagend vor Radwell. „Wie gemein von Ihnen! Ich schwebe wegen des Tisches in tausend Ängsten, dabei wussten Sie die ganze Zeit über, dass es gar nicht derselbe ist!“
„Aber man kann sie ganz leicht auseinanderhalten: Der dort hat eine Schramme im Furnier.“ Er wies auf den, den sie während ihres nächtlichen Spiels benutzt hatten. „Dieser hier ist heil“, erklärte er und klopfte darauf, ehe er sich hastig dahinter niederließ.
Esme betrachtete Radwell. Die Linien der Erschöpfung in seinem Gesicht hatten sich noch tiefer eingegraben. Wenn er nicht bald Schlaf fand, würde er krank werden. Und dass er sich hinter dem Tisch verschanzte, als müsse er sich vor ihr in Acht nehmen, war ganz lächerlich. Ein Mann, der Napoleons Heer getrotzt hatte, musste sich vor ihr wohl kaum fürchten.
„Sollen wir versuchen, Ihr Spiel noch ein wenig zu verbessern? Man kann Whist zwar zu zweit nicht spielen, aber wenigstens, wie man richtig bietet, könnten wir üben.“ Auf einem Beistelltisch standen Gläser und eine Karaffe, und er schenkte sich etwas ein.
Misstrauisch sah Esme ihn an.
„Kein Laudanum! Ehrenwort! Nur der Portwein, den mein Bruder vorhin so sehr behütete. Und nicht grundlos. Ein exzellenter Tropfen! Wenn Sie mir nicht trauen, hier – kosten Sie.“ Er bot ihr sein Glas und schüttete sich selbst neu ein.
Feurig rann der schwere Wein durch ihre Kehle, doch sie schmeckte nichts von dem Mittel, mit dem damals in London der Brandy versetzt war. „Der Wein ist wirklich gut, aber ich sollte nicht austrinken, er wird mir so spät am Abend zu Kopf steigen.“
„Sehr kluger Entschluss.“
Quer über den Tisch starrte
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