Verführerische Unschuld
herein, während ihre Zofe zögernd hinter ihm verharrte.
„Du!“, spie er hasserfüllt hervor und fuchtelte dabei wild mit einer Zeitung vor ihrem Gesicht herum.
Esme nickte demütig. „Ja, Sir, hier bin ich.“
„Das ist ohne Zweifel dein Werk!“
„Wenn es um etwas geht, das in der heutigen Zeitung steht, wüsste ich nicht, wie ich dafür verantwortlich sein sollte. Ich habe dieses Zimmer seit vierzehn Tagen nicht verlassen.“
„Du wirst mithilfe der Zofe eine Nachricht hinausgeschmuggelt haben!“, schrie er. „Du hast ihm die Fassung geraubt! Und das ist das Resultat!“
„Wen meinen Sie, Sir, und was soll ich getan haben? Ich habe nichts herausgeschmuggelt. Wovon reden Sie nur?“
Er holte aus und schlug ihr die Zeitung um die Ohren, dann deutete er erbost auf das Titelblatt. „Dort steht, der Earl of Halverston ist tot, von eigener Hand gestorben. Was kann ihn wohl dazu getrieben haben, mein Mädchen?“
„Sir, ich schwöre Ihnen, ich weiß es nicht.“ Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie würde ihn also nicht heiraten müssen? Aber das hieß, dass sie ihrem Vater nie entkommen würde.
Wieder schüttelte er die Zeitung vor ihren Augen, sodass Esme furchtsam zurückzuckte. Dann wies er auf die Überschrift. „Da steht es! Ein einziger Schuss! Er war allein in seinem Arbeitszimmer. Doch der Bruder deines Gastgebers hatte ihn kurz zuvor verlassen.“
„St John?“ Bevor sie sich zurückhalten konnte, war ihr der Name entschlüpft.
„Sieh da! Nicht Captain Radwell? Hast du dich also verraten! Kein anständiges Mädchen würde ihn beim Vornamen nennen!“
Mit starrem Blick sah sie zu, wie er die Zeitung zu einer harten Rolle formte. „St John Radwell, der seit deiner Rückkehr ständig versucht, hier Einlass zu bekommen! Was hast du ihm gesagt? Welche Freiheiten durfte er sich nehmen? Und was hatte er mit dem Earl zu tun?“
„Ich weiß es nicht, ich schwöre.“ Er war hier gewesen!
„Lüg mich nicht an!“ Er holte abermals aus und schlug mit der Papierrolle auf ihr Gesicht ein. Tränen schossen ihr in die Augen, und ihre Wange begann anzuschwellen.
„Ich schwöre, ich weiß es wirklich nicht!“ Flehentlich versuchte sie, ihn zu überzeugen, doch er hob abermals den Arm und versetzte ihr einen Schlag, der sie taumeln und zu Boden sinken ließ. Erschrocken eilte Meg herbei, um ihr aufzuhelfen, doch ihr Vater stürzte sich nun auf die Zofe, wobei er schrie: „Und du? Du steckst auch mit drin!“
Esme stellte sich vor das Mädchen. „Sie hat nichts damit zu tun. Wenn du jemanden verdächtigst, verdächtige mich!“
„Gut, dann wirst du ihre Strafe obendrein bekommen!“ Wieder schlug er sie, dieses Mal auf die andere Wange, dann wandte er sich Meg zu, die sich ängstlich zusammenkrümmte. „Pack deine Sachen und verschwinde! Ich dulde keinen Ungehorsam von meiner Dienerschaft. Hier stellt sich niemand vor meine Tochter, wenn ich sie Disziplin lehre!“ Wütend stapfte er aus dem Zimmer.
„Oh, Miss!“, murmelte die Zofe verschreckt. „Miss Esme.“
Seufzend sagte Esme: „Es ist schon gut. Nur keine Sorge. Wenn du uns verlässt, geh zu dem Haus direkt gegenüber; in der zweiten Etage wohnt eine Dame, der sag, dass du hier ohne Zeugnis entlassen wurdest und ich nicht die Stellung habe, dir eines auszustellen. Füge hinzu, dass ich St John Radwell bitte, dir eine Arbeit in seinem oder im Haushalt seines Bruders zu verschaffen.“
„Ach, Miss, aber was wird aus Ihnen?“
„Ich komme schon zurecht. Ich bin stärker, als ich aussehe. Nun lauf, ehe mein Vater dich noch einmal sieht.“
Auf dem Weg zur Tür wandte die Zofe sich um. „Er hätte mich sowieso rauswerfen müssen, Miss. Weil ich so unordentlich bin. Ich verlege dauernd etwas. Zum Beispiel Schlüssel. Ich weiß gar nicht, wo der Schlüssel zu Ihrem Zimmer geblieben ist.“ Mit diesen Worten drückte sie Esme einen schweren Messingschlüssel in die Hand, umarmte sie kurz und lief hinaus.
Sorgfältig schloss Esme die Tür hinter ihr zu. Jetzt musste sie sich überlegen, wie sie vorgehen sollte. Im Besitz des Schlüssels konnte sie nach Belieben kommen und gehen. Nun musste sie noch einen Ort finden, der ihr Zuflucht bot, nur war sie leider ohne Geld. Wie dumm sie war! Sie hätte Meg eine weitere Nachricht für Radwell auftragen sollen, in der sie seine Hilfe erbat. Seine Besuche hier mochten nichts zu bedeuten haben, aber immerhin hatte er sie nicht vergessen.
Sie wusste nur einen Ort, wo sie Unterschlupf
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