Verfuehrt
ja auch gut so, denke ich und betrachte ihn mit einem sehnsüchtigen Seufzen.
Ich würde wirklich gerne zu ihm gehen und ihn küssen, um mich zu vergewissern, dass ich das nicht alles nur geträumt habe, was letzte Nacht passiert ist. Aber Matteo hat recht. Lord Ashbury sollte nicht merken, dass wir uns nahestehen, damit er nicht glaubt, Matteo würde die Expertise zu unseren Gunsten verfassen. Deshalb müssen wir vorsichtig sein. Vernünftig – meine Spezialität, denke ich mit einem bitteren Lächeln.
Eigentlich hätte ich deshalb auch direkt nach dem Frühstück fahren sollen. Doch Lord Ashbury ist im Moment nicht da, er begutachtet, wie Mallory uns beim Frühstück mitgeteilt hat, die Sturmschäden an Haus und Ställen, die recht erheblich sein sollen, und muss dann noch zu seinem Anwalt nach Temple, wird also vor dem Nachmittag nicht zurückerwartet. Und Rebecca Ashbury ist mir zwar begegnet, aber nur denkbar kurz. Sie saß noch mit Matteo am Tisch, als Mary mich in den Frühstücksraum geführt hat, ist dann jedoch fast sofort gegangen, zu einem dringenden Termin. Sie wirkte insgesamt ein bisschen kurz angebunden, wohl, weil Matteo am Abend zuvor auf ihr sehr eindeutiges Angebot, doch statt im Gästezimmer lieber bei ihr zu übernachten, nicht eingegangen ist. Ich glaube aber nicht, dass sie ahnt, dass er stattdessen bei mir war, denn dann hätte sie mich mit Blicken vermutlich ermordet. Ich war einfach Luft für sie, genau wie beim Dinner, und auch Matteo muss sich damit abfinden, dass er in ihrer Gunst deutlich abgerutscht ist. Was ihn allerdings nicht zu stören scheint.
Letztlich sind wir in dem Zimmer, in das wir zufällig gestolpert sind, nicht die ganze Nacht geblieben. Matteo hat mich irgendwann, als der Sturm endlich abflaute und der Strom wieder da war, zurück in mein Zimmer gebracht – seine Orientierung ist definitiv besser als meine, denn er hatte überhaupt keine Probleme, es wiederzufinden –, und ist dann zurück in seins gegangen, damit niemand Verdacht schöpft. Mary ahnt es vielleicht, weil ich sie bitten musste, noch ein drittes Bett neu zu beziehen. Ich habe behauptet, ich hätte Angst vor dem Gewitter gehabt und die Bibliothek gesucht, mich auf dem Weg jedoch verlaufen und schließlich in ein anderes Zimmer geflüchtet, wo ich dann die halbe Nacht war. Ob sie mir diese Geschichte abgekauft hat, weiß ich nicht. Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie deswegen zu Lady Ashbury gehen wird, deshalb mache ich mir nicht allzu große Sorgen.
Mich beschäftigt viel eher die Frage, wie es jetzt weitergehen soll mit Matteo und mir. Ich möchte mit ihm zusammen sein, und ich spiele ständig in Gedanken durch, wie es funktionieren könnte. Viele Möglichkeiten gibt es nicht, und wir würden beide große Kompromisse machen müssen, aber …
»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragt Matteo, und ich merke erst jetzt, dass er schon weitergeredet hat. Böse ist er jedoch nicht, denn er lächelt und beugt sich vor, küsst mich gerade lange genug, dass ich wohlig aufseufze, als er mich wieder freigibt. »Ich hoffe, du hast wenigstens von mir geträumt.«
»Matteo! Ich dachte, wir dürften uns nicht küssen!«, sage ich ein bisschen entrüstet, doch er zuckt nur mit den Schultern und gibt mir noch einen flüchtigen Kuss auf den Mund.
»Im Moment sieht es schließlich niemand. Also, hast du mir zugehört oder nicht?«
Ich muss mich kurz beruhigen, doch dann erinnere ich mich an das, was er gesagt und was ich mit einem Ohr mitbekommen habe.
»Die Tatsache, dass es sich nicht um eine Heiligendarstellung handelt, passt nicht wirklich in Enzos Gesamtwerk?«
»Genau.« Matteo geht zu dem Gemälde hinüber und betrachtet es nachdenklich. »Enzo hat – für die Renaissance durchaus typisch – überwiegend mit religiösen Motiven gearbeitet. Es gibt kaum etwas anderes von ihm, zumindest in seinen frühen Jahren, nur eine Hand voll Porträts, meist Auftragsarbeiten. Erst später finden sich dann immer wieder Gemälde von Frauen, wahrscheinlich seine Gespielinnen, aber nichts, das an dieses hier erinnert. Es ist ganz klar ein eigenständiges Werk, das zeigt schon der Titel, aber für ihn ist das dennoch ungewöhnlich.«
»Freunde«, sage ich und kann ihm nicht ganz folgen. »Aber ist das denn wirklich so ungewöhnlich? Er wird doch sicher viele Freunde gehabt haben. Warum sollte er also nicht ein entsprechendes Bild malen?«
Matteo schüttelt den Kopf. »Du weißt doch selbst, dass viele Maler
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