Verfuehrt
obwohl er eigentlich gar kein Recht hat, mich anzuklagen. »Ich kenne ihn von früher. Nigels Vater Rupert war sehr gut mit Dad befreundet. Nach seinem Tod hatten wir Nigel aus den Augen verloren. Aber vor einiger Zeit habe ich ihn wiedergetroffen, und seitdem sind wir wieder eng befreundet.«
»Ist er auch Kunsthändler?«
»Nein, er ist Banker. Aber er tut trotzdem viel für uns – was Dad und ich sehr zu schätzen wissen.«
Matteo hebt die Brauen. »Ein selbstloser Banker. Interessant«, sagt er mit einem eindeutig sarkastischen Unterton, und irgendwie fühle ich mich ein bisschen ertappt. Denn dass Nigel unsere Beziehung durchaus nicht nur freundschaftlich sieht und mehr daraus werden lassen möchte, ist mir bewusst. Aber das will ich nicht ausgerechnet mit dem Mann diskutieren, mit dem ich in Rom den heißesten Sex meines Lebens hatte. Deshalb ignoriere ich Matteos Bemerkung und drücke ein weiteres Mal die Flügeltür am Eingang auf, flüchte mich in das große Foyer, das dahinter liegt.
»Wir müssen hier entlang«, erkläre ich, damit er nicht auf die Idee kommt, mir noch mehr Fragen zu stellen, und halte auf die Tür zu, die in den Bürotrakt führt. Dort vermute ich Dad und Nigel, und ihre Stimmen dringen tatsächlich aus Dads Büro, dessen Tür einen Spalt aufsteht. Die beiden sind so in ihr Gespräch vertieft, dass sie überrascht aufblicken, als ich die Tür ganz öffne und den kleinen Raum betrete.
»Sophie! Endlich!«, ruft Dad und springt von seinem Stuhl auf. Er umarmt mich fest, und ich schmiege meine Wange an den vertrauten rauen Tweedstoff seines Anzugs.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so lange aus London weg war – in den letzten Jahren ging das wegen Mums Krankheit höchstens mal für ein paar Tage oder eine Woche, und als ich ihn jetzt betrachte, fällt mir auf, dass seine schwarzen Haare an den Schläfen sehr grau geworden sind. Obwohl die Sache mit dem Enzo sicher ein Schlag für ihn war, kann das nicht über Nacht passiert sein. Also liegt es wohl am ungewohnten Abstand, den ich nach den Wochen in Rom zu allem hier habe, dass ich das plötzlich wahrnehme. Was sofort mein schlechtes Gewissen zurückbringt, weil ich ihn für Wochen mit allem allein gelassen habe.
Nigel, der im Besuchersessel auf der anderen Seite des Schreibtisches saß, hat sich ebenfalls erhoben, und als er auf mich zutritt, um mich zu begrüßen, stelle ich fest, dass ich auch ihn nach der aufregenden Zeit in Rom anders sehe. Distanzierter. Aber irgendwie auch objektiver.
Wobei das Ergebnis für ihn gar nicht schlecht ausfällt, denke ich, fast ein bisschen erstaunt. Er ist Mitte dreißig, also etwas älter als Matteo, aber genauso groß, und sieht in seinem dunklen Anzug sehr distinguiert aus. Der selbstbewusste Charme, der Matteo so anziehend macht, fehlt ihm zwar, aber mit seinen dunklen Haaren und den grauen Augen ist er dennoch attraktiv, strahlt etwas Beständiges, Sicheres aus, das mir immer sehr gefallen hat.
»Schön, dass du wieder da bist, Sophie«, sagt er, und ich lasse mich auch von ihm umarmen, gebe ihm einen schnellen Kuss auf die Wange, bevor ich mich Matteo zuwende, der hinter mir in das kleine Zimmer getreten ist.
»Darf ich vorstellen«, erkläre ich nervös. »Das ist Matteo Bertani – und das sind mein Vater und Nigel Hamilton.«
Die Männer schütteln sich die Hand, doch die Atmosphäre im Raum ist mit einem Mal sehr steif – was nicht an Matteo liegt, der unbefangen lächelt. Dad und Nigel wirken dagegen ziemlich irritiert, offenbar entspricht Matteo so gar nicht dem Bild, das sie sich von dem Kunstexperten gemacht haben, der das Auktionshaus retten soll. Falls sie einen introvertierten Wissenschaftler erwartet hatten, dann kann ich ihre Überraschung sogar verstehen. Matteo ist vieles, aber ganz sicher nicht unauffällig. Mit seiner Statur und seinem Aussehen könnte er genauso gut ein Modell aus einem der Bertani-Kataloge sein, in denen das international bekannte Design-Label seiner Familie seine exklusiven Produkte präsentiert.
Nigel scheint das richtig zu stören, denn er betrachtet Matteo mit gerunzelter Stirn, während Dad nur überrascht ist. Er fängt sich jedoch sofort wieder, wahrscheinlich, weil ihm wieder einfällt, welche wichtige Rolle Matteo für die Zukunft unseres Geschäfts spielt.
»Signore Bertani, wie schön, dass Sie extra den weiten Weg hierher gefunden haben! Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet«, betont er.
»Noch habe ich nichts
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