Verfuehrt
Für einen Moment glaube ich, etwas über sein Gesicht huschen zu sehen, das keine Ablehnung ist. Doch dann ist es vorbei und er schüttelt den Kopf, macht sich von mir los. Mit schnellen Schritten durchquert er das Esszimmer, so als müsste er dringend Abstand zwischen uns bringen.
»Ich fahre noch mal zu Valentina«, sagt er, und ich kann von hier aus den Ausdruck in seinen Augen nicht mehr erkennen. »Sie braucht mich.«
Damit wendet er sich um und geht, verlässt die Wohnung und schließt die Tür mit einem lauten Knallen, das durch die Räume nachhallt. Kurz danach springt draußen ein Wagen an und Reifen knirschen über den Kies auf der Einfahrt. Dann ist er weggefahren, und es wird draußen wieder still.
Erschöpft und zittrig bleibe ich stehen und fühle, wie Angst mit eisigen Fingern nach meinem Herzen greift und die Hoffnung, die ich gerade noch hatte, wieder zerstört. Er glaubt mir nicht, denke ich. Er glaubt mir nicht, egal, was ich sage. Und das ausgerechnet jetzt, wo mir endlich klar geworden ist, dass er – trotz allen Schwierigkeiten, die wahrscheinlich noch auf uns warten würden, wenn wir es wirklich mit einer Beziehung versuchen – der Mann ist, ohne den ich nicht glücklich sein kann. Ich brauche ihn. Aber es sieht nicht so aus, als wenn ich ihn bekommen könnte.
18
Als ich am nächsten Morgen aufwache und den hübschen hellblauen Baldachin über mir sehe, brauche ich einen Moment, bis ich mich erinnern kann, wo ich bin. Doch sobald mir wieder einfällt, dass ich in dem Himmelbett in Valentinas Wohnung liege, ist auch alles andere wieder da: der Besuch bei ihr gestern im Krankenhaus, der entfesselte Sex mit Matteo – und unser Streit danach.
Mit einem Seufzen lasse ich mich in die Kissen zurücksinken und schließe die Augen, spüre wieder dieses hohle Gefühl in der Brust, das beim Einatmen schmerzt.
Ich habe keine Ahnung, wie viel Uhr es ist – meine Armbanduhr ist im Bad und mein Handy in meiner Tasche, die vor dem Schrank steht. Aber die Sonne scheint hell durch die Vorhänge, die ich nicht zugezogen habe, deshalb ist es bestimmt nicht mehr früh. Unwillkürlich frage ich mich, was ich jetzt tun soll. Aufstehen und mich anziehen, sicher, das auf jeden Fall – aber was dann? Ich habe keinen Schlüssel für die Wohnung oder das Haus, also werde ich Matteo danach fragen müssen. Nur weiß ich nicht mal, wo er ist und ob er überhaupt noch mit mir spricht.
Vielleicht hätte ich ihm meine Gefühle nicht gestehen sollen, denke ich. Aber ehrlich zu ihm zu sein, erschien mir die einzige Möglichkeit, ihn irgendwie zu erreichen.
Nach seinem Weggang gestern Abend bin ich ziemlich bald ins Bett gegangen, habe aber noch ewig wachgelegen und bin in einer Endlosschleife immer wieder die Momente mit ihm durchgegangen, habe versucht, irgendeinen Hinweis zu finden, irgendetwas, das mich hoffen lässt, dass er mir vielleicht doch noch glauben wird. Aber er sah so entschlossen aus, so feindselig, so verletzt, und ich kann mir nicht vorstellen …
Überrascht hebe ich den Kopf und schnuppere kurz, um zu überprüfen, ob ich mich irre. Aber nein, es riecht eindeutig nach Kaffee, der Duft zieht richtig unter der geschlossenen Schlafzimmertür ins Zimmer hinein. Was komisch ist, jetzt, wo ich darüber nachdenke, denn ich bin ganz sicher, dass ich sie gestern Abend offen gelassen habe.
Mit gerunzelter Stirn schwinge ich die Beine aus dem Bett, gehe in meinem kurzen Nachthemd zur Tür und öffne sie. In der Küche rumort jemand, man hört Geräusche und das Gurgeln der Kaffeemaschine, und ich setze mich wie von selbst in Bewegung, um nachzusehen, wer es ist. Viele Möglichkeiten gibt es nicht, da vermutlich außer Valentina nur noch Matteo und seine Haushälterin Elisa einen Schlüssel zu der Wohnung haben. Deshalb bin ich nicht wirklich überrascht, als ich tatsächlich Matteo an der Arbeitsplatte in der Küche stehen sehe, wo er gerade kleine, sehr appetitlich aussehende Hörnchen auf einen Teller füllt. Oder doch, ich bin überrascht, sehr sogar. Denn damit gerechnet, ihn nach gestern Abend hier zu sehen, hatte ich nicht.
»Guten Morgen.«
Matteo bemerkt mich erst jetzt und fährt zu mir herum. Er ist immer noch blass und sieht übernächtigt aus, aber er kommt nicht direkt aus dem Krankenhaus, denn seine Haare sind feucht und er hat sich umgezogen, trägt nicht mehr das Hemd von gestern, sondern ein frisches, und dazu eine wirklich knackige Jeans, die meinen Herzschlag ziemlich
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