Verfuehrt in Las Vegas
eine andere Frage, die wesentlich wichtiger war. „Und er? Hat er dich gesehen?”
Seine Frage hatte fast wie ein Vorwurf geklungen. Welches Recht hat er eigentlich überhaupt, mich zu verhören, dachte Caitlin aufgebracht. Polizist oder nicht, er hätte genügend Anstand haben müssen, um sich sofort von dem Fall zurückzuziehen, nachdem er erfahren hatte, dass sie darin involviert war.
Oder war er etwa aus Neugier gekommen? Weil er sehen wollte, was aus dem jungen Mädchen geworden war, das er damals so schnöde verlassen hatte? Und das er verraten hatte - für lumpige fünfzigtausend Dollar?
Voller Verachtung erwiderte sie seinen Blick. Das war alles, was sie jetzt noch für ihn empfand - Verachtung und Zorn. Keine Liebe mehr, keinen Schmerz. Diese Gefühle waren damals mit ihr gestorben.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass er mich gesehen hat.”
Aber glauben bedeutete nicht wissen. Graham war das viel zu vage. Falls der Killer sie doch gesehen hatte und nun wusste, dass sie den Mord beobachtet hatte …
Dieser Gedanke behagte ihm ganz und gar nicht.
Jeffers merkte, wie nahe Caitlin das Ganze ging. Er legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter und versuchte, sie von Graham abzulenken.
„Würden Sie bitte mit aufs Revier kommen, um sich ein paar Fotos anzusehen?”
Caitlin bezweifelte, dass das irgend etwas bringen würde. Außerdem war da ja noch ihre Arbeit, und die wartete nicht auf sie.
„Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich ihn nicht richtig erkennen konnte.”
Jeffers nickte ruhig. „Ja, ich verstehe, aber manchmal wird das Erinnerungsvermögen eben durch äußere Einflüsse getrübt”, entgegnete er und warf einen beredten Blick auf Graham. „Ich nehme an, Sie wissen, was ich meine.”
„Ja, ich weiß, was Sie meinen”, erwiderte sie seufzend. „Also gut, ich komme mit. Ich muss nur rasch meine Tasche holen.”
„Natürlich, lassen Sie sich ruhig Zeit”, meinte Jeffers. Er überlegte kurz und sagte dann überraschend: „Würden Sie uns bitte einen Moment lang entschuldigen?”
Caitlin nickte. Sie war froh über die kleine Atempause.
Jeffers hatte sich bereits an seinen Partner gewandt. „Macht es dir was aus, wenn wir kurz nach draußen gehen?”
Anstelle einer Antwort drehte Graham sich einfach um und marschierte hinaus. Ohne einen Blick nach rechts oder links zu werfen, ging er geradewegs aus dem Laden auf die Straße.
Hier holte er tief Luft, wie ein Mann, der kurz vor dem Ersticken gewesen war. Die Luft war heiß und schwül. Trotzdem war es noch besser, als drinnen zu bleiben und Caitlins Duft einatmen, ihre Präsenz ertragen zu müssen.
Jeffers wartete ein paar Minuten lang, bevor er seinen Partner ansprach. Er wusste, Graham musste sich erst sammeln. Inzwischen kannte er ihn gut genug und konnte sein Schweigen richtig einschätzen.
Aber schließlich dauerte ihm die Pause zu lange. Hier ging es immerhin um Antworten. Er wies mit dem Daumen auf Caitlins Laden und sagte: „Was zum Teufel ist hier eigentlich los?”
Graham zögerte. Wie sollte er das Jeffers erklären? Schließlich gab er sich einen Ruck.
„Wir sind hier, um einen Mordfall aufzuklären”, erwiderte er betont ruhig. „Wenn dir das inzwischen immer noch nicht klar ist, würde ich sagen, der Steuerzahler verschwendet sein Geld.”
Das hatte seinem Kollegen gerade noch gefehlt. Moralische Belehrungen schienen ihm hier völlig fehl am Platz zu sein.
„Vergiss den Steuerzahler, Graham! Du weißt ganz genau, wovon ich rede.” Jeffers senkte seine Stimme ein wenig, denn er hatte die erstaunten Blicke der beiden Damen registriert, die gerade den Laden betreten wollten. „So ein Duell habe ich noch nie gesehen. Es fehlte nicht viel, und ihr wärt aufeinander losgegangen. Genau wie in Star Wars, der Kampf zwischen Luke Skywalker und Darth Vader mit ihren Lichtschwertern. Ich hatte das Gefühl, eine falsche Bewegung, und einer von euch bringt den anderen um.”
Graham sah ihn amüsiert an. „Ich muss sagen, Jeffers, du hast ja eine lebhafte Phantasie. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.”
Jeffers sah ihn kopfschüttelnd an. Das war wieder einmal typisch für seinen Partner!
Warum musste man ihm die Informationen immer wie Würmer aus der Nase ziehen?
Aber er war fest entschlossen, nicht lockerzulassen. Also fragte er ihn geradeheraus:
„Woher kennst du diese Frau? “
Graham versuchte, die Woge von Erinnerungen, die gerade in ihm hochstieg, wieder zurückzudrängen.
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