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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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Verbindlichkeit eine entsprechende Eintragung ins Logbuch machen. Aber was ist mit Ihnen, mein Sohn? Wollen Sie keine Bitte in eigener Sache äußern? Um ein milderes Urteil vielleicht? Einen barmherzigeren Tod durch Erschießen? Die Zusicherung, Ihre Leiche nicht zur öffentlichen Belustigung auszustellen?«
    Gerard fühlte mit jeder Faser seines Körpers, wie Lucy zusammenzuckte. Aber Lord Howell konnte ihm die eine Sache, die er mehr als jede andere brauchte, nicht geben – Zeit. Zeit, vor einem Gottesdiener zu stehen und zu beschwören, dass er diese Frau für den Rest seines Lebens lieben würde. Zeit, ihrer beider Kind in ihrem schlanken Körper heranwachsen zu sehen. Zeit, mit seinen Enkelkindern durchs Herbstlaub zu tollen. Vor allem aber jene kostbare Zeit, Lucy zu erklären, wie satt er es hatte davonzulaufen. Und dass er ohne sie nirgendwo mehr hingehen wollte.
    »Ich kann Ihnen sagen, was ich will, Sir. Ich will dieses verwöhnte kleine Biest loswerden.« Er versetzte Lucy einen Stoß, der hoffentlich heftig genug war, sie endgültig aus allen Kalamitäten zu befreien. Sie landete vor Lord Howells Füßen auf Knien, warf das Haar aus dem Gesicht und sah Gerard ungläubig an, die grauen Augen rauchig vor Schmerz. Und Gerard schrie sie mit aller Todesverachtung, zu der er noch fähig war, an: »Kein Lösegeld der Welt ist es wert, eine Frau wie Sie auf meinem Schiff zu haben!«
    Lord Howell legte Lucy die Hand auf die Schulter und wandte sich höflich an Gerard: »Ich fürchte, das hier ist nicht mehr Ihr Schiff, Sir. Ergreift ihn!«
    Lucy musste unglücklich zusehen, wie die Mannschaft der Retribution entwaffnet und nach Backbord dirigiert wurde, wo das Verhör stattfinden würde. Gerard verschwand, von zwei stämmigen Matrosen flankiert, im Schatten des Laderaums.
    Lord Howell zog Lucy am Ellbogen und half ihr auf. »Du brauchst keine Angst mehr zu haben, mein Kind. Der Schurke liegt bald in Eisen, und zwar da, wo er hingehört.« Howell schrieb ihr Zittern der Kälte zu und legte den Arm um ihre Schultern. »Ich kann mir kaum vorstellen, wie überglücklich dein Vater sein wird, dich wieder zu sehen.«
    Lucy wandte das grimmige Gesicht von seinen freundlichen Augen ab. »Ich auch nicht, Sir. Ich auch nicht.«
     
    Über ein Jahrhundert früher hatte über den kabbeligen Wassern von Tilbury Point an einem Querbalken die Leiche Captain William Kidds gehangen, von Teer konserviert und in ein eisernes Geschirr gefesselt. In stürmischen Nächten, so hieß es, war immer noch das Geklirr seiner Ketten im Wind zu hören und erinnerte die ehrbaren Seeleute mit grausigem Knarren daran, dass der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert war.
    Als sich die Retribution ihren Weg durchs Wasser der Themse nach Greenwich bahnte, versammelten sich massenweise die Schaulustigen an den Ufern, um jenem Mann Tribut zu zollen, der die Warnung überhört hatte.
    Flussauf- und flussabwärts erzählte man sich von dem seltsamen Schauspiel, ein Piratenschiff unter des Königs eigener prächtiger Standarte segeln zu sehen. Sechs Jahre zuvor hatte London den Mann, der sich nun Gerard Claremont nannte, als siegreichen Helden willkommen geheißen. Und die Stadt, die ihre Sünder nicht weniger leidenschaftlich verehrte als ihre Heiligen, empfing Captain Doom mit der gleichen Begeisterung. Schon Stunden vor seiner Ankunft drängten sich die ungeduldigen Zuschauer am Dock, wo er von Bord gehen würde.
    Sie ignorierten die murrenden Seeleute und die Hafenarbeiter, die ihre Arbeit tun wollten, und stürzten sich vergnügt ins Gewühl. Die Armen, deren Existenz ein bloßer Kampf ums Überleben war und die nach einer Prise Romantik hungerten, genau wie die Reichen, deren abgestumpfter Welt der Nervenkitzel fehlte. Letztere begnügten sich meist damit, dem Spektakel im Schutz der luxuriösen Karossen beizuwohnen, und scheuten sich, den empfindlichen Nasen den salzigen Gestank verrotteten Fischs zuzumuten und den Augen das irdische Getümmel aus Dirnen und Straßenhändlern, die auf schmalen Plankenwegen ihre Ware feilboten.
    Es war kurz vor Mittag, als ein kleiner Junge endlich das Schiff entdeckte. Die Menge verstummte in sprachlosem Staunen. Sogar die Reporter ließen die Stifte sinken und gaben sich dem majestätischen Anblick des Schoners hin, dessen bedrohlicher Schönheit die Wintersonne nichts anhaben konnte. Die Menge brach in Beifall aus, was die Schreiberlinge schließlich wieder motivierte. Im Versuch, allein mit Worten

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