Verführt: Roman (German Edition)
Armen gefangen nahm. »Meine Liebe, Sie sollten mir nicht verübeln, dass ich ein Schurke bin, denn schließlich war es Ihr Vater, der mich dazu gemacht hat.«
19
»Sie lügen!«
Lucy duckte sich unter Gerards Arm durch, sprang aus dem Bett und versuchte verzweifelt, seiner erdrückenden Präsenz zu entgehen. Eine Minute zuvor hatte sie noch geglaubt, vom Schock zu geschwächt zu sein, um ohne Hilfe stehen zu können, doch jetzt gab die Wut ihr Kraft, und sie fing ihrerseits an, in der geräumigen Kajüte auf und ab zu gehen.
»Sie lügen«, wiederholte sie und nahm Gerard ins Visier wie die Löwenmutter, die ihr Junges verteidigt. »Mein Vater ist ein guter Mann. Er hat sein Leben lang treu seinem Land und seinem König gedient.«
»Er hat sein Leben lang immer nur sich selbst gedient«, verbesserte Gerard zynisch. Er sah Lucy an, als hasste er sie ebenso wie ihren Vater. Doch Lucy ließ sich von dem scharfen Stich in der Herzgegend nicht aus dem Konzept bringen und zog sich hinter kühler Logik zurück.
Die Hände in gespannter Ruhe vor sich verschränkt, musterte sie ihn. »Und auf welche Beweismittel stützt sich Ihre absurde Anklage?«
Dass ihre gespielte Tapferkeit seine Augen amüsiert aufblitzen ließ, schmerzte sie mehr als sein Hass. »Ihr Vater hatte Gründe genug: Eifersucht auf den jungen, gesunden Seehelden, dem eine brillante Karriere bevorstand. Gier. Verzweiflung.«
Lucy schnaubte undamenhaft. »Mein Vater ist ein wohlhabender Mann. Allerdings nicht von Geburt an. Der König hat ihn für seine loyalen Dienste großzügig entlohnt.«
»Fraglos. Was mir allerdings fragwürdig erscheint, ist die achtlose Art, in der er mit seinem Reichtum umgeht.«
»Lächerlich. Der Admiral ist ein äußerst genügsamer Mann. Wir haben zwar stets komfortabel gelebt, aber doch niemals über unsere einigermaßen bescheidenen Verhältnisse.«
Gerard lachte ein herzliches, rumpelndes Lachen, das Lucys geschraubten Rechtfertigungsversuchen spottete. »Ihr Vater ist ein aufgeblasener Taugenichts, der schon lange, bevor Sie geboren wurden, jede Nacht in den Spielhöllen auf der Pall Mall und der St. James’s Street verbrachte. Als White’s und Brook’s von seinen ungedeckten Schuldscheinen genug hatten, ist er in die weniger ehrbaren Etablissements in Covent Garden ausgewichen. Zu der Zeit, als er die Verletzung erlitt, hatte er nicht nur sein ganzes Jahreseinkommen am Spieltisch verprasst, sondern auch seine Pension und das Dach über Ihrem hübschen kleinen Kopf.«
Lucy holte bebend Luft und war dankbar für die verschränkten Hände, die ihr plötzliches Zittern nicht sehen ließen. Wieder geriet um sie herum die Welt ins Wanken, und sie fürchtete, dass ein einziges Schlingern sie endgültig um ihr fragiles Gleichgewicht brachte.
Sie schaute Gerard geradewegs in die Augen. »Sie haben mir einmal vorgeworfen, dass ich mir komplizierte Geschichten zusammenspinne, um mein Verhalten zu rechtfertigen. Nun muss ich Ihnen den gleichen Vorwurf machen. Mein Vater ist fürs leichtsinnige Wetten ebenso unanfällig wie für Trunksucht oder Müßiggang oder – oder …«
»Oder Piraterie?«, schlug Gerard vor. »Nicht einmal, wenn seine Gläubiger ihm das Haus einrennen? Nicht einmal, wenn ihm der Bankrott bevorsteht und ein Skandal?« Das schiefe Lächeln nahm einen bitteren Zug an. »Wir wissen alle, wie sehr Ihr Vater jedweden Skandal verabscheut, oder etwa nicht?«
Lucy zwang sich, den gut platzierten Hieb zu ignorieren. Man hatte ihr beigebracht, logisches Denken über alles zu stellen, doch Gerards Begriff von Logik war enervierend.
Sie fing wieder an herumzulaufen – in möglichst weitem Bogen um seine erdrückende Präsenz. »Falls das, was Sie sagen, stimmt, wie konnten Sie es dann wagen, sich derart dreist in unser Leben zu drängen?« Ein verstörender Gedanke ließ sie innehalten. »Ist Gerard Claremont überhaupt Ihr richtiger Name?«, fragte sie leise und fürchtete die Antwort.
»Jetzt jedenfalls. Richard Montjoy, der Mann, der sich von Lucien Snow zum Trottel hat machen lassen, ist in jener Festung am Meer gestorben. Gerard Claremont hat überlebt.«
Unbegreiflicherweise war ihr, als habe man ihr etwas Kostbares geraubt. »Was, wenn Sie in London irgendwer erkannt hätte? Mein Vater? Sein angeblicher Handlanger? Einer von Lord Howells Gästen?«
»Ihr Vater war bereits lahm, als er den Plan ausgeheckt hat. Ich habe Gründe anzunehmen, dass er mich nie zu Gesicht bekommen hat, beziehungsweise
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