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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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vorauseilt, doch Gerard legte nicht Hand an sie. Er brauchte es nicht. Unausgesprochen lag die Drohung in der Luft. Lucys Blick wanderte zu seinem unbeugsamen Gesichtsausdruck empor, und sie musste einsehen, dass der Mann, der einst behauptet hatte, ihr Leben sei ihm so teuer wie sein eigenes, jetzt ihr Todfeind war.
    »Sollten Sie irgendwie an Flucht denken, überlegen Sie es sich noch mal, Miss Snow .« Er betonte ihren Namen, als wolle er mit Gewalt jede Vertraulichkeit zerstören, die sie einst verbunden hatte. »Meine Männer sind ein gefährlicher Haufen. Vollkommen skrupellos. Glauben Sie mir. Sie möchten ihnen nicht in die Hände fallen.«
    Sind wir also wieder da, wo wir angefangen haben, dachte Lucy. Nun, er war nicht der Einzige, der einen Fingerzeig zu deuten wusste. Sie legte den Kopf in den Nacken und blitzte ihn furchtlos an. »Sie müssen mir vergeben, Sir, aber es fällt mir schwer, Ihnen zu vertrauen. Sagen Sie doch, Mr. Clare- … Captain, war Ihr Aufenthalt auf Iona der Mühe wert? Haben Sie die Trophäe gefunden, nach der Sie in meines Vaters Bibliothek gesucht haben?«
    Sein Blick wich ihr aus, doch es war ihr nicht möglich, die sonderbare Gefühlsmixtur in seinem Gesicht zu entschlüsseln. Amüsement? Verzweiflung? Reue?
    Er wandte sich ihr wieder zu. »Oh, ich habe eine großartige Trophäe mitgebracht. Ich habe nur noch nicht entschieden, was ich mit ihr anfange.«
    Als er die Tür öffnete und sich zum Gehen wandte, wusste Lucy nicht, ob sie verschreckt sein sollte, weil er sie mit ihren Ängsten allein ließ, oder erleichtert, weil sie ihn los war. Sie konnte nicht widerstehen, einen letzten Schuss abzufeuern.
    »Captain?«
    »Ja, bitte?«, erwiderte er vernichtend geduldig.
    »Falls es Ihr angeschlagenes Gewissen beruhigt, dann geben Sie meinem Vater ruhig die Schuld für Ihre Verbrechen, aber vergessen Sie nicht, dass ein jeder Mensch seines eigenen Schicksals Herr ist.«
    Er schlug vor ihrer Nase die Tür zu und unterstrich seine gegenteiligen Ansichten mit Schlüsselgeklirre und dem dumpfen Schlag eines hölzernen Bolzens, der in seine Halterung einrastete.
    Lucy sank mit wackeligen Knien gegen die Tür. Vielleicht war die einzige Begabung, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, ja ihr Talent zum Bluffen, denn solange Gerard Claremont der Kapitän dieses Schiffes war, war er auch Herr über ihr Schicksal.
    Gerard umklammerte die Bugreling, stemmte die Beine gegen den Wellengang und genoss das Gefühl, wieder Herr seines eigenen Reichs zu sein. Was für ein berauschendes Gefühl, nachdem er wochenlang ergeben die Befehle eines Mannes befolgt hatte, den er verabscheute, fast so mächtig wie die Versuchung, seine Macht zu missbrauchen.
    Die winterliche Kälte und die erdrückend düstere See, die mit dem zinngrauen Himmel verschmolz, machten ihm nichts aus. Er sog tief die Luft in die Lungen und hoffte, dass sie ihn von jenen Gewissensbissen reinwusch, die das Zusammentreffen mit seiner einzigen Liebe trübten. Die See taufte ihn mit ihrer belebenden Gischt und drückte ihm einen salzigen Kuss auf die Lippen. Die Jahre der Gefangenschaft – begraben im Gestein und verhöhnt vom nahen Lied des Meeres – hatten seine Sehnsucht nach ihren offenen Armen nur noch stärker werden lassen.
    Ein jeder Mensch ist seines eigenen Schicksals Herr.
    Gerards Fingerknöchel wurden weiß vor Zorn ob Lucys scharfem Tadel. Die affektierte, verhätschelte Miss Snow hatte wahrhaft Nerven, ihn derart zu verurteilen! Sie hatte nicht erleben müssen, wie einem das eigene Schicksal entrissen und in die Hände anderer gelegt wurde. Grausame Hände. Gnadenlose Hände. Hände, die ihm das Licht verweigerten und ihn für unendliche Monate in Dunkelheit und Schmutz ketteten.
    Als Lucy zur Kajütentür gelaufen war und ihm so tapfer die Stirn geboten hatte, hätte er sie sich am liebsten gegriffen, doch ihm hatte das Selbstvertrauen gefehlt. Das Selbstvertrauen, die Grenzen ihrer beider Beziehung auszuloten, jetzt, wo sich die Machtverhältnisse so dramatisch verändert hatten. Er hatte Angst gehabt, der Hunger nach ihr könnte sich mit seinem Durst nach Rache mischen und einen gewalttätigen Mahlstrom erschaffen, der sie beide ins Verderben riss. Es gab kein Zurück, sobald er einmal die Grenze überschritt.
    Lucy wusste es nicht, aber sie hatte ihrem Vater schon einmal das Leben gerettet. Bevor er von ihrer Existenz erfahren hatte, war Gerard fest entschlossen gewesen, seine Rachsucht direkt an Lucien Snows

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