Verfuehrung auf Capri
vergessen. Du trägst den Groll eines ganzen Lebens in dir, und darüber darf ich nicht hinwegsehen.“
Tomaso atmete erneut tief ein und blickte ihr in die Augen.
„Fahr wieder nach Hause, wenn du es möchtest. Ich habe nicht das Recht, Ansprüche an dich zu stellen. Mein Verhalten war egoistisch und dumm. Ich kann nicht ungeschehen machen, was Stefano euch angetan hat – dir, deiner Mutter und ihren Eltern. Ich war kein guter Vater, Laura. Das würde ich gern wiedergutmachen, indem ich dir ein guter Großvater bin, aber …“, er verstummte.
Schweigend saß Laura da und hörte das Klicken der Geräte, das Zwitschern eines Vogels, das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos …
Plötzlich platzte sie heraus: „Wie konnte er ihr das nur antun? Er hat meiner Mutter ja nicht einmal zurückgeschrieben und angezweifelt, dass er wirklich der Vater ihres Kindes ist – er hat sie völlig ignoriert! Sie war ihm einfach nur lästig, genau wie ich.“ Die Kehle zog sich ihr zusammen. „Ich war ihm völlig egal“, sagte sie mit erstickter Stimme, stand auf und wandte sich verzweifelt ab.
„Aber mir bist du wichtig, Laura.“ Abrupt wandte sie sich wieder Tomaso zu, der die Hand nach ihr ausstreckte. „Mir bist du wichtig“, wiederhol
te er eindringlich. „Für Stefano ist es zu spät, aber ich bitte dich … lass es nicht auch für mich zu spät sein. Du bist meine einzige Verwandte, alles, was ich habe. Ich bitte nicht um viel, nur darum, etwas Zeit mit dir verbringen zu dürfen.“
Er blickte sie so flehentlich an, als hinge sein Überleben allein von ihr ab.
Ganz langsam streckte Laura den Arm aus und berührte seine Fingerspitzen. Dann ließ sie die Hand wieder sinken.
„Danke“, sagte Tomaso leise.
Auf dem Rückweg zur Villa blickte Laura schweigend aus dem Fenster. Hin und wieder warf Alessandro ihr einen Blick zu. Sie wirkte wieder völlig verschlossen, doch irgendetwas an ihr war anders, irgendwie sanfter.
Kann das wirklich sein?, fragte er sich stirnrunzelnd. Das Wort sanft schien überhaupt nicht zu Laura Stowe zu passen. Sie war doch hart und abweisend wie Granit, schroff und nicht sehr liebenswürdig. Doch als er sie erneut anblickte, sah er wieder die fast unmerkliche Veränderung.
So sieht sie eigentlich gar nicht so hässlich aus, dachte er unwillkürlich. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich dann sofort. Es konnte ihm doch völlig egal sein, wie sie aussah. Wichtig war nur, ob sie bleiben würde. Denn dann musste Tomaso sein Versprechen einlösen, den Vorsitz an ihn abzutreten.
„Und, was werden Sie jetzt tun?“, fragte er. „So schnell wie möglich zurück nach England fahren oder Ihrem Großvater etwas von Ihrer kostbaren Zeit schenken?“ Seine Worte klangen schroffer, als er es beabsichtigt hatte.
Laura wandte den Kopf zu ihm. „Ich …“ Sie schluckte. „Ich werde bleiben, bis es ihm besser geht. So dringend muss ich nun auch nicht zurück.“
Alessandro konnte sich ohnehin nicht vorstellen, wie jemand freiwillig in diese Ruine zurückkehren konnte. Und wenn sie ihren Frieden mit Tomaso geschlossen hatte, brauchte sie das alte Haus ja auch nicht mehr – ebenso wenig, wie Tomaso den Vorsitz von Viale-Vincenzo brauchte.
Plötzlich wurde Alessandro ungeduldig und gereizt. Am liebsten wäre er jetzt schon in Rom gewesen, hätte sich auf seinen künftigen Posten vorbereitet und sich von Delia Dellatore verwöhnen lassen. Er ließ den Blick zu Laura gleiten.
Einen größeren Gegensatz als den zwischen der verführerischen, eleganten Delia und Tomasos Enkelin, die dort saß wie ein Sack Kartoffeln, konnte es zwischen zwei Frauen wohl kaum geben.
Alessandro wandte den Blick ab. Er hatte nichts mit Laura zu schaffen. Und sobald er sie bei der Villa abgeliefert hätte, würde er nach Rom zurückkehren. Zutiefst erleichtert über diese Aussicht, zog er sein Handy heraus, um seine Assistentin zu informieren.
4. KAPITEL
Irgendwann am Nachmittag musste Alessandro weggefahren sein, doch Laura hatte nichts davon mitbekommen. Sie war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.
Sie hatte sich Tomaso gegenüber geöffnet, den sie eigentlich kalt und abweisend hatte behandeln wollen. Nervös krampfte sie die Finger ineinander.
Was habe ich nur getan?, dachte sie verzweifelt und erfüllt von einem heftigen Aufruhr der Gefühle.
Doch eigentlich kannte Laura die Antwort genau: Sie hatte Tomaso Viale als ihren Großvater angenommen. Und sie würde eine kurze Weile bei ihm bleiben, bis es ihm
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