Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
Sabrina konnte nicht mehr atmen, nicht mehr denken, und die Wände schienen auf sie zuzukommen.
Warme Hände legten sich auf ihre Schultern, eine Stimme brummte an ihrem Ohr, und Sabrina merkte, wie sie aus der Krankenstation in das klare, helle Tageslicht hinausgezogen wurde. Ein kühler Wind schlug ihr ins Gesicht und riss sie aus ihrer immer größer werdenden Panik. Sabrina holte tief Luft und erschrak, als ihr die salzigen Tränen in den Mundwinkeln bewusst wurden. »O Götter, was habe ich getan?«
Daighs geradezu schmerzhaft intensiver Blick löste eine schon vertraute Hitze tief in ihrem Innern aus. »Du hast versucht, einen Mann vor dem Ertrinken zu bewahren, und hattest keine Ahnung, dass er dich mit sich hinabziehen würde.«
Wie betäubt bog Sabrina auf den Gang ein, der zum Schlaftrakt und der Treppe zu ihrem Zimmer führte. Könnte man in einem verschlossenen Raum und in Träumen doch nur Vergessen finden! Doch da das leider nicht möglich war, kamen der durchsichtige Nebel und der jähe Schwindel, die sie in Daighs Vergangenheit versetzten, daher auch gar nicht überraschend. Der sich schnell auflösende Nebelschleier offenbarte einen verrauchten Saal, der erfüllt war von verwirrten Stimmen. Die Männer und Frauen darin bewegten sich wie Gespenster, ihre Augen verrieten Argwohn und Leid, ihre Körper waren gekrümmt.
Daigh stand direkt hinter dem Feuer. Sabrina kannte seine Haltung, die Neigung seines Kopfes, die ruhige Intensität in jeder seiner Gesten. Er begrüßte eine Gruppe derb aussehender Männer, die soeben erst eingetroffen waren. Sie waren schlammbespritzt und völlig außer Atem. Als Daigh zu ihnen hinüberblickte, flackerte das rötliche Licht der Flammen über seine Züge und seine Augen. Sein Blick richtete sich auf Sabrinas Gesicht, und sie konnte seine ganze Liebe zu ihr spüren, stärker sogar noch als seine Unruhe oder den Ernst, der ihn wie ein schwerer Mantel zu umhüllen schien.
Dann zog der Nebel wieder auf, und die Szene verblasste in dem grauen Dunst. Gleichzeitig gruben sich scharfe Nägel in Sabrinas Schulter und entrangen ihr einen erschrockenen Schrei.
»Erwischt, Mädchen!«
Sabrinas Kopf fuhr hoch zu Schwester Brighs Gesicht, das noch zerknitterter und verdorrter als gewöhnlich war. »Falls Sie mich schelten wollen, weil ich meine Pflichten vernachlässige, kommen Sie zu spät. Ich habe keine Pflichten mehr, und Sie haben nicht länger Autorität über mich«, fauchte sie und ließ ihre Wut und Verwirrung an der alten Frau aus.
»Aber ich habe Augen im Kopf und weiß, was ich sehe. Sie und dieser Mann. Zuerst erscheint er hier, dann kommen Sie. Sauber und gepflegt. Und nun sehe ich Ihre Schamlosigkeit, wenn Sie ihn anschauen. Und die Gier, mit der er diesen Blick erwidert.«
»Ihre Sehfähigkeit lässt nach. Mr. MacLir sieht mich mit nichts anderem als Hohn an.« Sie versuchte, sich von der alten Priesterin loszureißen, doch Schwester Brighs Finger bohrten sich nur noch tiefer in Sabrinas Schulter.
»Sie sind eine Närrin, Mädchen. Er beobachtet Sie unentwegt mit seinen leeren schwarzen Augen. Magische Energie umhüllt ihn wie eine Sturmwolke. Ich weiß, was er ist. Ich höre und bemerke Dinge. Sie sollten auf der Hut sein, Mädchen.«
»Auf der Hut wovor?«
Schwester Brigh blickte furchtsam zur Tür, als sie die knochigen Hände rang. »Er ist ein von den Toten Wiederauferstandener, ein Domnuathi , wie man diese Leute nennt. Das Böse hat ihm Leben eingehaucht, und es verfolgt ihn auch. Ich sehe die Bestie auf seinem Rücken. Die Morrigan-Raben fliegen dicht hinter ihm her. Nichts Gutes kann dabei herauskommen.«
»Daigh würde uns nichts antun. Wir haben ihn gerettet.«
»Er wird tun, was sein Herr verlangt, und nicht mehr Gewissensbisse dabei haben, als zerträte er Ungeziefer unter seinem Schuh.« Ein grausames Lächeln zerfurchte Schwester Brighs Gesicht noch mehr. »Sie fürchten, dass es wahr ist, obwohl Sie ihn verteidigen. Das kann ich in Ihrem Herzen sehen. Er hat Ihnen schon wehgetan.«
Sabrina verschloss ihren Geist vor Schwester Brighs Neugier, doch die Priesterin hatte Jahrzehnte der Übung darin, selbst in die am besten geschützten Gedanken einzudringen.
»Ich beschütze, was zu mir gehört, Mädchen. Dieser Orden und meine Schwestern. MacLir muss fortgehen. Wenn er uns verlässt, werden die Gefahr und das Böse mit ihm gehen.«
»Wenn er fortgeht, wird das Böse die Herrschaft über ihn gewinnen, und wir werden schlimmer dran sein,
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