Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
frühen Stunden vor der Morgendämmerung abgekühlt und mit Frost überzogen hatte.
Erst dann war Sabrina auf die schwach beleuchtete Krankenstation zurückgekehrt, zu den kranken und gebrechlichen alten Priesterinnen, die hier mehr oder weniger friedlich schliefen. Der Regen trommelte gegen die Fenster, und wieder wurde Sabrina von dem seltsamen Gefühl erfasst, dass sich die Zeit zurückdrehte und die vergangenen Wochen ausgelöscht wurden, als hätte es sie nie gegeben, und sie, Sabrina, mit dem beruhigenden Gefühl zurückblieb, dass, was auch immer außerhalb dieser Mauern geschehen mochte, dieses Leben weitergehen würde, wie es war.
Sie hatte sich über die unerbittliche Routine und erstickenden Fesseln der Tradition geärgert, hatte zum Horizont hinausgeschaut und wissen wollen, was hinter der Grenze zwischen Erde und Himmel lag. Und sie war verzweifelt und verängstigt geflohen vor dem, was sie gefunden hatte. Brendan. Aidan und seine Frau. Máelodor. St. John.
Daigh.
Zu viele Fragen. Zu viele Gefahren. Zu viele Möglichkeiten, körperliche und seelische Verwundungen davonzutragen. Wenn sie Ard-siúr doch nur von ihrer Ergebenheit überzeugen könnte! Von ihrem Wunsch nach einem Leben in dem beständigen Gang uralter Traditionen und fern der Hektik und der Aufregungen außerhalb der Klostermauern! Sabrina ließ sich in einem Sessel nieder und drückte die Arme an ihren Bauch, als sich der bohrende Schmerz ihrer eigenen Dummheit von ihrem Magen bis in ihre Brust ausdehnte.
Schwester Cleas Stimme durchbrach wieder die Stille. »Paul hat noch nie ein Versprechen gebrochen! Er wird kommen. Ich weiß es.«
Erschöpft und überreizt, wie sie war, verlor Sabrina die Beherrschung. »Er kommt nicht! Hörst du? Er kommt nicht. Es ist mir egal, was er versprochen hat. Es waren Lügen. Wie alles, was er dir je gesagt hat. Er spielt mit dir und bringt dich dazu, zu glauben, es könnte alles wieder gut werden. Aber das kann es nicht. Es kann nie wieder so werden, wie es war. Nicht einmal hier. Nicht einmal, wo es so sein sollte.«
Schwester Cleas Augen weiteten sich vor Schreck und Überraschung, und sie schürzte die Lippen und öffnete den Mund. Den Saum der Decke knetete sie zwischen den Fingern. »Paul lügt nicht, Sabrina.«
Sabrina fuhr hoch. Schwester Clea hatte sie noch nie beim Namen genannt.
Die Augen der alten Frau glänzten von Tränen, doch der Blick, mit dem sie Sabrina maß, war scharf und wach. »Und Brendan Douglas auch nicht. Er wird kommen. Bald wird er bei dir sein.«
Was sah die bandraoi? Welche Vorahnung war durch die verkalkten Windungen ihres Gehirns hinaufgestiegen, um für einen strahlenden Moment an der Oberfläche zu erscheinen? Sabrina konnte die alte Schwester nicht fragen. Sie würde es nie erfahren, denn dieser klare Moment war schon wieder vergangen.
»Bald habe ich Geburtstag«, murmelte Schwester Clea. »Und mein Bruder wird zu Hause sein.«
Daigh blickte zu dem hohen, schlanken Stein auf, dessen Oberfläche von Quarzkristallen schimmerte, wo er noch nicht von Moos bewachsen war. Die Luft um den Stein flimmerte, tanzte und warf Schatten, die nichts mit dem Mondlicht zwischen den umstehenden Bäumen zu tun hatten. Als Daigh näher trat, fiel die Temperatur, sodass er plötzlich fröstelte. Es war aber nur der Grund, aus dem er hergekommen war, der Schweiß zwischen seinen Schulterblättern ausbrechen und ihm über den Rücken laufen ließ.
Ein wahrer Magier konnte ihm den Tod gewähren.
Helena Roseingrave hatte ihn auf die Idee gebracht, so wie es auch ihr Hass gewesen war, der die letzten Schranken vor seinen Erinnerungen eingerissen hatte. Oh ja, die Erinnerungen an die Jahre seit seiner Wiedererweckung waren jetzt so handfest und in Blut gebadet wie sein Schwert. Máelodors kalkulierte Qualen, die ihm ohne Vorwarnung auferlegt und wieder abgenommen worden waren. Die langen Wochen, in denen er mit seinen Bitten keine Gnade erlangt hatte und in denen seine Schreie nur noch schmerzlichere Behandlungen zur Folge gehabt hatten. Oder andere Gelegenheiten, bei denen all seine Bedürfnisse erfüllt worden waren und er ein verwöhnter Prinz unter den Männern gewesen war. Der Besitz und größte Schatz des Großartigen. Sein Schwertarm. Seine Kraft. Sein Killer.
Würde Artus das gleiche Schicksal erleiden? Oder würde Máelodors Wunsch, mit seinem wiedererweckten Kriegsherrn und König die Herzen und Seelen der Rasse der Anderen zu gewinnen, sein dunkleres Begehren überwiegen,
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