Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
war es leid, als Erste erwischt zu werden. Deshalb wollte ich mich da oben verbergen.« Die Kleine zeigte auf einen schmalen Sims etwa fünfzig Zentimeter unter der Decke, der breit genug war, um ihren mageren Körper zu verbergen, aber kaum zu sehen war in der Düsternis des Raumes.
»Hier. Drück das Tuch fest an deine Stirn, während ich deinen Knöchel untersuche!«
Das Mädchen schniefte. Kaum älter als sieben oder acht, blickte es mit bewundernden, tränenumflorten Augen zu Sabrina auf.
»Und?« Mit sanften Fingern tastete sie den Knöchel ab.
Das Mädchen zuckte zusammen, aber es schrie nicht auf. »Ich bin auf das Fass geklettert, um hinaufzusteigen, doch es zerbrach, und ich fiel hin.«
»Der Knöchel muss geschient werden. Ich werde dich …« Sabrina versuchte, das Kind aufzuheben, aber die Kleine stöhnte, und frische Tränen bildeten Streifen auf ihrem blutigen Gesicht.
Der Boden knarrte, als jemand hinter ihnen erschien. »Lass mich helfen!«
Natürlich. Es musste Daigh sein. Schon beim Klang seiner Stimme überlief ein Prickeln Sabrinas Rücken. Der Raum schrumpfte und schwankte, bis jeder Zentimeter von Daighs Gegenwart erfüllt war. Sabrina hoffte nur, dass ihr beschämendes Bewusstsein seiner Nähe sich nicht auf ihrem Gesicht zeigte, und war ihm böse wegen ihrer eigenen dummen Reaktion auf ihn. »Ist das deine Vorstellung von einem Spiel?«, zischte sie. »Hör auf, mich zu verfolgen!«
»Ich bin dir nicht gefolgt.« Er lenkte ihren Blick auf den Holzspalter, den er trug, bevor er ihn an die Wand lehnte.
Dann trat er näher und hob das Kind auf seine Arme. Für einen Moment erhellte sich sein dunkler Blick, und ein schwaches Lächeln erschien um seine Mundwinkel. »Was ist das denn? Keine Tränen mehr, junge Dame! Sei ein braves Mädchen!«
Die Kleine bekam Schluckauf und rieb sich mit dem Handrücken die Augen, doch ob Daighs Worten wegen oder aus ehrfürchtigem Erstaunen über den grimmig dreinblickenden Hünen, der sie trug, war nicht zu sagen.
»Was glaubst du, was du tust?«, fuhr Sabrina ihn an.
»Helfen. Oder willst du sie lieber selbst tragen?« Er machte Anstalten, ihr das Kind zu übergeben.
Sabrina trat zurück. »Sie ist zu schwer. Ihr Knöchel würde noch mehr leiden, wenn ich es versuchte.«
»Dann geh mir aus dem Weg, damit ich sie tragen kann!«
Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern ging geduckt unter der Tür hindurch und überließ es Sabrina, die dankbar, wütend und aufgeregt zugleich war, ihm hinterherzulaufen.
Auf der Krankenstation legte er das Mädchen auf ein Kinderbett und trat mit einem ermutigenden Nicken zurück.
»Was ist das? Noch mehr Probleme?« In einem Wirbel von Grau erschien Schwester Ainnir an ihrer Seite, blickte mit schmalen Lippen und funkelnden Augen zwischen Daigh und Sabrina hin und her und bückte sich dann schnaubend, um den Knöchel der Kleinen und den Schnitt an ihrer Stirn zu untersuchen. »Diese Leute halten mich von früh bis spät auf Trab mit ihren Wehwehchen und Problemen. Die halbe Zeit beherzigen sie meinen Rat nicht mal. Seit sie hier sind, habe ich keine zehn Minuten mehr an einem Stück ein Bett gesehen. Ich bin zu alt für so was.«
»Ich kümmere mich um das Kind.« Sabrina versuchte, der alten Priesterin die Rolle Verbandsstoff abzunehmen.
Aber Schwester Ainnir zog sie mit einem scharfen Blick zurück. »Das ist nicht mehr Ihre Aufgabe.« Auf Sabrinas verständnisloses Blinzeln hin milderte die Priesterin ihren Ton. »Ard-siúr hat Anweisung gegeben, dass Sie wie ein Gast behandelt werden sollen, bis Ihr Bruder kommt, um Sie abzuholen.« Sie legte Sabrina tröstend eine Hand auf die Schulter. »Ich würde Sie im Nu zurücknehmen, wenn ich könnte. Das wissen Sie.«
»Aber …«
Ainnir scheuchte Sabrina fort, als wäre sie nicht älter als das Kind vor ihnen. »Gehen Sie nur, Mylady! Ich werde die Kleine zusammenflicken und zu ihren Eltern zurückschicken.«
Ein Gast? Sie durfte nicht mehr heilen? Nicht mehr helfen? Aidan würde sie abholen? Was war sie? Ein Hund, der sich verlaufen hatte?
Die Fragen legten sich auf ihre Brust wie Steine und machten das Exil, das ihr bevorstand, real. Sie würde fortgehen müssen. Und sie wusste, dass es diesmal keine Rückkehr geben würde. Sie würde nach Belfoyle gebracht werden und dortbleiben, bis Aidan beschließen würde, seine Einschränkungen zu lockern. Nach ihrer Flucht aus Dublin würde er sie wahrscheinlich sogar einschließen und den Schlüssel wegwerfen.
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