Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
wenn ich dir etwas erzähle?«
Brendan wurde ernst. »Ich kann nicht behaupten, dass mir zum Lachen zumute ist.«
Sie legte den Kopf ein wenig schief und betrachtete ihn ernst. »Das ist kein Versprechen, Brendan.«
Er seufzte und richtete sich mühsam zu einer sitzenden Haltung auf. Jetzt waren die dunklen Prellungen noch deutlicher in seinem ansonsten kreideweißen Gesicht zu sehen. »Habe ich je über dich gelacht? Selbst als du mit Geschichten von Trollen unter deinem Bett zu mir kamst, habe ich da auch nur gekichert?«
»Nein, hast du nicht.«
»Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass ich in dieser Hinsicht noch genau derselbe bin.«
Sie sah ihn lange prüfend an. In fast jeder Hinsicht war er anders als der dünne, linkische, verschlossene Bruder ihrer Kindheit, dessen Auftreten fast immer zurückhaltend gewesen war, da er seine wahren Gefühle hinter einer sarkastischen Fassade verborgen gehalten hatte. Außer bei ihr. Zumindest hatte Sabrina das immer geglaubt. Aber seine Geständnisse hatten diesen Glauben erschüttert. Hatte sie Brendan eigentlich je richtig gekannt?
Er schien ihr Dilemma zu verstehen und ließ die Schultern hängen. Ein gekränkter Ausdruck verdüsterte sein angeschlagenes Gesicht. »Bitte, Sabrina! Vertrau mir!«
Sein bittender Tonfall löschte ihre letzten Bedenken aus. Aidan war der Bruder gewesen, den sie bewundert hatte, doch Brendan war der Bruder, den sie liebte.
»Ich bin ein Teil von Daighs Vergangenheit«, sagte sie. Brendan runzelte verwirrt die Stirn. »Ich weiß, das klingt verrückt, aber ich kann in seine Erinnerungen eintauchen. Ich sehe Dinge, wie er sie erinnert, doch es sind Erinnerungen an mich und ihn. An gemeinsame Erlebnisse. Es sind mehr als Visionen, es ist, als wäre ich dort, als träte ich durch ein Tor in die Vergangenheit und als wären seine Erinnerungen so etwas wie eine Zeitreise.«
Brendans Blick schärfte sich. Ihm war deutlich anzumerken, wie sehr er sich auf das, was sie ihm erzählte, konzentrierte. »Du … aber … wie …« Er schien über ihr Geständnis nachzudenken, tippte sich ans Kinn und murmelte vor sich hin: »Denk nach, Brendan … das würde bedeuten …«
»Du glaubst nicht, dass ich verrückt bin, nicht? Oder durch Máelodors Zauber von einer bösartigen Magie befallen worden bin?«
Brendan schrak zusammen und wandte sich ihr zu, als hätte er ihre Gegenwart einen Moment vergessen. »Verrückt? Wer hat dich verrückt genannt?«
»Aidan sagte …«
Brendan schnaubte. »Du weißt, was unser Bruder von Magie hält. Daran wird sich wohl nicht viel geändert haben seit meinem letzten Zusammensein mit ihm. Nein, Sabrina, du bist keineswegs verrückt. Ich habe von diesem Phänomen gehört, doch es ist etwas sehr Seltenes. Es gibt nur wenige Andere , die sich in eine andere Zeit versetzen können. Die wahren Feen verteidigen diese Macht erbittert.«
»Ich kann mich nicht in jede Zeit versetzen. Nur in Daighs. In seine Erinnerungen. Und es ist keine bewusste Entscheidung. Es geschieht einfach.«
Ihre aufgestaute Frustration und Furcht strömten in einem Sturzbach von Erklärungen, Vermutungen, Sorge und Kummer aus ihr heraus, bis ihre Worte in ein Schluchzen übergingen. Brendan hielt sich zurück. Er hörte ihr aufmerksam zu und unterbrach sie nur hin und wieder, um eine Frage zu stellen oder um eine nähere Erläuterung zu bitten.
Der durchs Dach tropfende Regen sammelte sich in Pfützen auf dem Boden, und es war so kalt, dass ihr wärmerer Atem die Luft vernebelte. Brendans Zittern verstärkte sich, und Erschöpfung und Krankheit gruben tiefe Linien in sein Gesicht. Aber in seinen Augen brannte die Wissbegierde des Gelehrten.
»Daigh benutzt die Erinnerung, um gegen seine Knechtschaft anzukämpfen? Unglaublich. Nichts dergleichen wurde jemals in den Schriften festgehalten.« Er tippte sich noch aufgeregter ans Kinn. »Könnte Daigh dich unabsichtlich mit hineinziehen, wenn er sich gegen Máelodors Kontrolle wehrt?«
»Wie?«
»Du hast gesagt, bevor es geschieht, erlebst du ein solch heftiges Aufwallen von Gefühl, dass deine normale Einfühlungsgabe überflutet wird. Wie ein Damm, der bricht und eine Wand aus Wasser freigibt.«
»Aber wo ist die Verbindung?«
»Ich vermute, dass er die Tür mit der Kraft seiner Emotionen öffnet und du hindurchfällst, ohne es zu merken.«
»Und was kann ich tun, damit das aufhört?«
Seine nervösen Finger hielten inne, und sein Gesichtsausdruck wurde mitfühlend und besorgt
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