Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
bewirkte, dass sie sich gegen St. Johns Erscheinen wappneten. Aber er kam nicht.
Selbst Panik verliert mit der Zeit die Schärfe. Man gewöhnt sich allmählich an den trockenen Mund, den wie zugeschnürten Hals und die feuchten Hände. Furcht wird zu etwas ganz Normalem.
Als die Sonne sich an einem grauen, nebligen Himmel emporschleppte, hatte Sabrina dieses Stadium erreicht und war immun gegen die Knoten der Angst und die Wellen der Übelkeit in ihrem Magen, in dem von ihrer letzten Mahlzeit schon längst nichts mehr geblieben war.
Sie hatte Brendan das Bett überlassen, und er war endlich eingeschlafen. Aber seine Ruhe währte nicht sehr lange, da sein Schlaf schon bald von abgehacktem Gemurmel unterbrochen wurde. »Lissa … der Stein … Jack!« Brendan erwachte jäh und rieb sich mit einer Hand über das Gesicht, als versuchte er, sich aus den Fieberträumen zu befreien. »Habe ich lange geschlafen?«
Sabrina hatte begonnen, mit einem Stöckchen Muster in den Schmutz zu zeichnen. »Ein paar Stunden.«
»Hat St. John sich blicken lassen?«
»Nein. Niemand.«
Seufzend schwang Brendan die Beine aus dem Bett und fuhr sich mit der Hand durch das zerzauste Haar. »Den Göttern sei Dank, denn im Moment fühle ich mich einem Wiedersehen mit ihm noch nicht gewachsen. Und Máelodor … von dem will ich erst gar nicht reden.« Aus seinem gesunden Auge blickte er Sabrina prüfend an. »Hast du geschlafen?«
»Nicht viel. Nein.«
»Komm! Wenn du dich an mich drückst, wird uns beiden wärmer.«
Er zog sie neben sich auf die Strohmatratze und legte einen Arm um ihre Schulter. »Schon besser, nicht?«
»Viel besser«, sagte sie und versuchte, sich nicht wegen der Hitze zu sorgen, die von seinem Körper ausging. »Brendan?«
»Hm?«
»Warum hast du es getan?«
Brendan schwieg sehr lange – lange genug, um Sabrina wünschen zu lassen, sie könnte die Frage noch zurücknehmen. Warum hatte sie sie überhaupt gestellt? Was für eine Rolle spielte das jetzt noch? Hatten sie nicht schon genug Probleme, ohne noch mehr ans Licht zu zerren?
»Auf was für ein ›es‹ beziehst du dich?«
Jetzt konnte sie nicht mehr zurück. Sie hatte gefragt, und sie würde eine Antwort bekommen. Auch wenn es keine war, die sie hören wollte. Denn obwohl es eine alte Geschichte zu sein schien, zogen die lang zurückliegenden Handlungen doch noch immer stetig größer und stärker werdende Kreise.
»Auf alles, was dir vorgeworfen wird.«
Ein weiteres ausgedehntes Schweigen folgte. »Meine traurige Berühmtheit ist mit jedem Jahr, in dem sie mich nicht fassen konnten, noch gewachsen. Ich wäre nicht überrascht, wenn ich für verlorene Ernten, Sonnenfinsternisse und Heuschreckenplagen verantwortlich gemacht würde.«
»Das beantwortet nicht meine Frage.«
Er seufzte. »Ich war damals ein anderer Mensch.«
»Und was hat dich verändert?«
Er versteifte sich und zog den Arm von ihr zurück, und prompt fröstelte sie nicht nur vor Kälte. »Eines Tages werde ich es dir vielleicht erzählen.«
Sabrina zog die Knie an die Brust und legte den Kopf darauf. Regen trommelte auf das schadhafte Dach und tropfte mit entnervender Regelmäßigkeit auch auf den Boden. »Warum bist du zurückgekommen?« Sie hasste das Zittern ihrer Stimme.
Brendans Antwort war so undeutlich, als wäre er wieder nahe daran, in die Bewusstlosigkeit abzugleiten. »Ich hörte, Vaters Tagebuch sei gefunden worden.« Er tat einen unsicheren Atemzug. »Hoffte, ihm zuvorzukommen … aber es klappte nicht …«
»Wer ist Lissa?«
»Niemand mehr. Schlaf jetzt!«
Das konnte und wollte sie nicht.
Doch ihre Müdigkeit war stärker.
Ein kleiner, grimmig dreinschauender Mann ließ St. John und Daigh in das Bauernhaus, ein anderer informierte sie über die Gefangenen.
»Die haben kaum was gegessen, Sir, obwohl ich ihnen Ihre Reste gab. Ich hörte sie da drinnen reden, konnte aber durch die Tür nichts verstehen. Der Mann hat nichts mehr versucht, obwohl wir damit gerechnet hatten. Es geht ihm schlecht. Vielleicht hat er sich deswegen ruhig verhalten.«
»Bringt sie her!«
»Aye, Sir.«
Die Männer verschwanden auf einer schmalen Treppe. Kurz darauf hörte Daigh das Gepolter ihrer Stiefel auf dem Dielenboden über ihm, dann erhobene Stimmen, gefolgt von dem dumpfen Geräusch von Fausthieben und dem Aufschrei einer Frau.
Daigh wehrte sich gegen die dunkle Rage in ihm. Die Präsenz war so dicht an der Oberfläche, dass das Glitzern des Schlangenauges seine Sicht erfüllte
Weitere Kostenlose Bücher