Verfuehrung im Palast der Liebe
abzuwiegeln. Warum bei diesem einen Mann nicht? Was war an diesem einen Mann anders, dass es ihm so mühelos gelungen war, die Barrieren einzureißen, die sie mit solcher Sorgfalt um die eigene Sexualität aufgebaut hatte? Eine Sexualität, die nun freigesetzt worden war und ihre Forderungen lautstark hinausschrie.
Nein, sie durfte dieser Stimme kein Gehör schenken. Durfte nicht einmal deren Existenz wahrnehmen. Ihre Großtante hatte sie oft genug gewarnt, dass es eines Tages passieren würde. Ethel war jetzt seit fast zehn Jahre tot, und noch immer konnte Keira ihre harschen Worte hören. Was geschehen würde, wenn sie in die Fußstapfen ihrer Mutter trat.
Keira war zwölf gewesen, als ihre Mutter starb. Ihre Großtante hatte sie aufgenommen – oder besser, fühlte sich gezwungen, sie aufzunehmen, weil sonst die Nachbarn herausgefunden hätten, dass sie einem kleinen Mädchen die Fürsorge verweigerte. Ethel hatte das Mädchen nicht gewollt, das hatte sie unmissverständlich klargemacht.
„Deine Mutter war eine Dirne, die Schande über den Familiennamen gebracht hat. Ich werde dafür sorgen, dass du nicht wirst wie sie, und wenn ich es aus dir herausprügeln muss. Ich werde kein Flittchen unter meinem Dach großziehen, das dann Schande über mich bringen kann.“
Denn da Keira die Tochter ihrer Mutter war, würde ein einziger Fehltritt ausreichen, dass sie den Rest ihres Lebens in Sünde verbringen müsste, hatte ihre Tante immer wieder betont.
Und so hatte Keira gelernt, ihr Herz und ihren Körper unter Kontrolle zu halten. Wenn die Jungen in der Schule ihr „frigider Eisberg“ nachgerufen hatten, so war sie sogar stolz gewesen und keineswegs verletzt. Mit Sorgfalt hatte sie sich eine Welt aufgebaut, in der jede Körperlichkeit fehlte, in der sie sicher leben konnte, ohne dem ständigen Risiko ausgesetzt zu sein, wie ihre Mutter zu enden.
Diese Welt existierte nun schon so lange für sie, dass sie geglaubt hatte, es würde immer so weitergehen. Doch nun hatte es sie wie ein Schlag aus heiterem Himmel getroffen – das Gefühl, wie es war, wenn man nach einem Mann verlangte.
Erst wurde ihr heiß, dann kalt. Keira begann zittern und zu beben. Ein qualvolles Pochen hatte von ihrem Körper Besitz ergriffen. Unbekannte Wünsche und Bilder suchten ihren Geist heim, es war wie ein brennendes Fieber. Aber vielleicht hatte sie ja tatsächlich Fieber.
Gab es denn ein Fieber, das Sehnsucht und Verlangen verursachte? Natürlich nicht. Was war dann mit ihr geschehen? Woher kam diese Sehnsucht, woher dieses Verlangen, wenn es doch so untypisch für sie und allem entgegengesetzt war, was sie sich beigebracht hatte?
Hatte es für ihre Mutter genauso angefangen? Keira zitterte noch stärker, sie fühlte sich elend und verzweifelt.
2. KAPITEL
Keira wusste, sie würde nicht in ihrem Zimmer bleiben können, ganz gleich, wie gern sie es auch tun würde. Man würde sie suchen, sollte sie nicht auf dem Empfang erscheinen. Also duschte sie schnell und schlüpfte in das lange silberne Abendkleid aus dem fließenden Stoff, der sich locker um ihre Figur legte.
Nur zögernd verließ sie ihr Zimmer und machte sich auf den Weg in den Garten, wo die Pavillons wie eine kleine Zeltstadt errichtet worden waren und in denen die Büffetttische standen.
Dhol-Spieler waren angeheuert worden, um die Gäste während des Essens mit stilvoller Musik zu unterhalten. Später dann würde es Disco und Tanz geben. Ob e r auch da sein würde?
Hör auf damit, mahnte Keira sich und versuchte verzweifelt, an etwas anderes zu denken.
Wenn die Feierlichkeiten vorbei waren, dann würde sie sich mit den beiden Verantwortlichen für die Realisierung des Bauprojekts in der neuen Stadt treffen. Hier sollte Ralapurs Äquivalent von Silicon Valley entstehen. Mit einem der Männer, Sayeed, hatte Keira bereits in Mumbai und in England zusammengearbeitet, den anderen kannte sie noch nicht. Es wäre ein riesiger Schritt vorwärts in ihrer Karriere, sollte ihr die komplette Ausstattung überlassen werden. Auch könnte sie das Honorar gut gebrauchen, bei den Schwierigkeiten, in die ihr Geschäft in den letzten Monaten geraten war.
Sie runzelte die Stirn, als ihre Gedanken für einen Moment in die Vergangenheit glitten. Die Probleme waren entstanden, nachdem Keira die Annäherungsversuche eines Klienten abgewehrt und dieser Klient dann die Rechnung nicht bezahlt hatte. Angeblich, weil er die „schlechte Qualität“ ihrer Arbeit nicht akzeptieren konnte.
Da
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