Verfuehrung in aller Unschuld
sicher.
„Sicher?“ Bei ihm?
Die Leute von der Presse horchten auf. Einer versuchte, ihr den Zettel zu entreißen, doch Lucy barg ihn in der geschlossenen Faust.
Es war verrückt. Völlig absurd. Domenico Volpe konnte nicht ernsthaft vorhaben, ihr zu helfen. Andererseits konnte sie unmöglich länger hier bleiben. Unheil braute sich zusammen, und sie war mittendrin.
Noch zögerte sie. Der große, breitschultrige Mann mit den kräftigen, gebräunten Händen war von einer Aura der Macht und Männlichkeit umgeben, die sie einmal sehr anziehend gefunden hatte. Jetzt kam er ihr eher bedrohlich vor.
Sie zuckte zusammen, als sein heißer Atem ihre Wange streifte.
„Ehrenwort eines Volpes“, flüsterte er.
Seine Nähe machte sie ganz kribbelig. Erst recht sein durchdringender Blick.
Er war stolz. Arrogant. Loyal. Ein mächtiger Mann und hochintelligent.
Doch alles, was sie über ihn gelesen hatte – und das war nicht wenig –, wies ihn als einen Mann aus, der Wort hielt. Er würde sich hüten, den guten Namen seiner Familie mit einer Lüge zu beschmutzen. Das hoffte Lucy zumindest.
Sie nickte.
„Va bene.“ Domenico Volpe nahm ihr das Gepäck ab und schob sie zielstrebig zu seiner am Straßenrand wartenden Limousine. Seine Finger schienen sich durch ihre Kleidung zu brennen.
Lucy zierte sich nicht lange, sondern stieg erleichtert ein und rückte ans äußere Ende der ledernen Rückbank, als Domenico Volpe die Tür hinter sich zuschlug.
„Mein Koffer!“
„Keine Sorge, der ist sicher verstaut.“
Sicher. Wieder dieses Wort, das sie so gar nicht mit ihm in Verbindung brachte.
Seine Augen waren dunkelgrau wie ein Gewitterhimmel. Sie gab sich nicht der Illusion hin, dass er sich freute, sie bei sich zu haben.
„Was wollen Sie von mir?“
„Sie vor der Presse retten.“
Lucy schüttelte unwillig den Kopf. „Ach was. Wenn Sie mich hätten retten wollen, dann hätten Sie es vor fünf Jahren getan, als es darauf ankam. Aber da haben Sie mich eiskalt fallen lassen“, platzte sie heraus.
Beklemmende Stille folgte ihren Worten. In der Enge des Wagens schien die Luft plötzlich knapp zu werden.
„Sie bringen da zwei Dinge durcheinander, die nichts miteinander zu tun haben“, erwiderte Domenico Volpe kühl. „Einigen wir uns einfach darauf, dass unsere Interessen diesmal ausnahmsweise übereinstimmen.“
Lucy musterte ihn argwöhnisch. „Ich wüsste nicht, was uns beide verbindet.“
Er wandte sich ihr zu, versperrte ihr mit seinen mächtigen Schultern die Sicht und maß sie mit einem langen, eindringlichen Blick, der sie erschauern ließ.
„Dann haben Sie ein beneidenswert kurzes Gedächtnis, Signorina Knight. Sie können wohl kaum bestreiten, dass es etwas gibt, was uns für immer miteinander verbindet, auch wenn ich mir wünschte, es wäre nicht so.“
„Aber das ist …“
„Lange her, meinen Sie?“ Domenico Volpe lächelte bitter. „Und trotzdem muss ich jeden Tag damit leben.“
Als er leise weitersprach, verursachte sein Tonfall ihr eine Gänsehaut. „Nichts wird jemals die Tatsache aus der Welt schaffen, dass Sie meinen Bruder getötet haben.“
Lucy schüttelte empört den Kopf, und fast bedauerte Domenico, nicht mehr die schönen blonden Locken um ihren Kopf tanzen zu sehen. Er erinnerte sich noch gut an ihr langes, seidiges Haar.
Trauerte er der jungen Frau von damals etwa nach? Nein, natürlich nicht.
Tag für Tag hatte er im Gerichtssaal gesessen und sie beobachtet, die Frau, die seinen Bruder auf dem Gewissen hatte. Er hatte seine Trauer, seine Rachegelüste und seine bodenlose Enttäuschung unterdrückt und sich ganz auf ihr Gesicht konzentriert, damit ihm keine noch so feine Regung darin entging. Ihr Anblick hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt.
Feindbeobachtung hatte er es genannt.
Nicht, dass er noch etwas für die Glücksritterin empfunden hätte, die versucht hatte, ihn und seinen Bruder gegeneinander auszuspielen. Nein, er hatte nur gefürchtet, ihr niedliches Klein-Mädchen-Image könnte womöglich das Urteil beeinflussen.
„Falsch. Ich wurde dafür verurteilt , ihn getötet zu haben. Das ist ein Unterschied.“
Fassungslos blickte er in ihre zornigen blauen Augen.
„Wollen Sie immer noch behaupten, Sie seien unschuldig?“
Ihre Lippen zuckten, als wäre Lucy drauf und dran, auch ihn wüst zu beschimpfen.
„Wenn es doch stimmt!“
Wie konnte sie es wagen, in seinem Wagen zu sitzen, über den Tod seines Bruders zu sprechen und
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