Verfuehrung in aller Unschuld
aber nicht, ob vor Sandros Tod, wie du zu Protokoll gegeben hattest, oder erst danach.“
„Und der Zeuge gibt zu, dass er gelogen hat?“
Domenico zuckte mit den Schultern. „Er war jung, Bruno sein älterer, erfahrener Kollege. Er wollte ihm einen Gefallen tun, weil er ihn für unschuldig hielt.“
„Und das hast du herausgefunden.“ Die Neuigkeit ließ Lucy seltsam unberührt, so als ginge sie das alles nichts an.
„Rocco hat den Zeugen für mich ausfindig gemacht und ihn über Bruno Scarlattis inzwischen recht umfangreiches Strafregister in Kenntnis gesetzt. Ich habe nur die Wahrheit aufgedeckt, sonst nichts.“
„Das ist mehr, als jeder andere getan hat.“
„Ich wusste, dass du unschuldig bist. Das hat es leichter gemacht.“ Domenico nahm ihre schmale Hand und sah dabei so zufrieden aus, als hätte er eine komplizierte Aufgabe gelöst. Das hatte er ja auch. Er hatte der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen und die Ehre seiner Familie wiederhergestellt.
Lucy entzog ihm ihre Hand und verschränkte die Finger im Schoß.
Erst allmählich begriff sie die ganze Tragweite seiner Worte. Sie war von jeder Schuld reingewaschen. Was sie unbedingt gewollt, wofür sie verzweifelt gekämpft hatte, war in Erfüllung gegangen.
Doch statt überschwänglicher Freude empfand sie nur Ernüchterung.
„Du hast ein bisschen Geld und Arbeit investiert, und hey – schon kommt die Wahrheit ans Licht“, stellte sie bitter fest. „Wenn das damals jemand getan hätte, wenn man mir nur zugehört hätte …“ Frustriert schüttelte sie den Kopf. „Fünf Jahre meines Lebens, einfach verloren. Fünf Jahre in der Hölle.“
„Du hast recht, das hätte nie passieren dürfen“, erwiderte Domenico betroffen. „Kannst du mir jemals verzeihen?“
Sie krauste die Stirn. „Dir? Ich rede von den Untersuchungsbeamten, die Brunos Aussage nicht hinterfragt haben, nur weil er mal einer von ihnen war.“
„Wenn ich dich damals angehört hätte, wäre alles anders gekommen.“ Die Schuldgefühle schienen schwer auf ihm zu lasten.
Es stimmte also. Er hatte ihr geholfen, weil er sich schuldig fühlte.
Lucy atmete tief durch.
Domenico mochte alles Mögliche sein, aber er war nicht schuld an ihrer Verurteilung. Das hatte sie sich während der schlimmen Zeit im Gefängnis nur eingeredet, aus Zorn und verletztem Stolz.
Das hatte sie jetzt nicht mehr nötig. Viel zu lange hatte sie an ihrer harten, zynischen Einstellung festgehalten und eine Frau verkörpert, die sie nicht war und nicht sein wollte.
„Hör auf“, sagte sie sanft. „Du bist der Mann, der meine Unschuld beweist.“
„Aber viel zu spät! Ich hätte …“
„Nein, Domenico. Ich war am Boden zerstört, als du mich fallen gelassen hast, aber mit dem Ausgang des Prozesses hatte das nichts zu tun. Es tat sehr weh“, gab sie zu. „Angesichts der Indizien und Zeugenaussagen kann dir allerdings niemand einen Vorwurf daraus machen, dass du an meiner Unschuld gezweifelt hast.“
Er bedachte sie mit einem langen, ernsten Blick. „Du bist eine erstaunliche Frau, Lucy Knight. Ich danke dir.“
Sie lächelte, aber es kam nicht von Herzen.
Dies war der Anfang vom Rest ihres Lebens, der Neuanfang, den sie sich so sehr gewünscht hatte. Und dennoch war sie traurig. Weil ihr Vater nicht mehr miterleben konnte, wie sie von jeder Schuld freigesprochen wurde. Und weil sie nicht wusste, wie es mit Domenico und ihr weiterging.
Frustriert rieb sie sich die pochenden Schläfen.
„Lucy, was hast du? Ist alles in Ordnung?“
Lucy blickte auf die Schale mit Obstsalat, und ihr Magen rebellierte.
„Ja, alles bestens. Ich bin nur durcheinander. Ich muss das alles erst verarbeiten.“
War sie etwa schwanger? Der Gedanke spukte ihr im Kopf herum, seit Domenico bei ihrem ersten Liebesakt kein Kondom benutzt hatte. Einerseits fand sie die Vorstellung, ein Kind von ihm zu bekommen, ganz wunderbar, andererseits wusste sie, dass er sich kein bisschen darüber freuen würde – egal, was er sagte.
Sie mochte erwiesenermaßen unschuldig sein, doch sie passte einfach nicht in seine Glitzerwelt der Reichen und Schönen.
Am Vorabend in der Oper war sie ganz hingerissen von der Vorstellung gewesen, während alle anderen nur höflich applaudierten. Sie war unübersehbar eine Außenseiterin!
„Schon gut, Lucy“, meinte Domenico aufmunternd. „Wir haben erreicht, was wir wollten. Es ist vorbei.“
Er wirkte so überlegen und selbstzufrieden.
Es ist vorbei.
Sie hatte gewusst, dass die
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