Verfuehrung in bester Gesellschaft
sodass sich ihre weiten Röcke über den Beinen bauschten, die von Strumpfhosen bedeckt waren. Ihr Gesicht war herzförmig, ihre Figur knabenhaft, und ihr Haar hatte die Farbe eines Kupferpennys.
„Wie ich schon sagte, sie ist noch jung, aber sie ist ihrer Mutter sehr ähnlich – Gott sei ihrer Seele gnädig. Ich denke, sie wird mit der Zeit zu einer Schönheit heranwachsen.“
„Davon bin ich überzeugt.“ Rule nippte an seinem Drink. Er hatte keine Ahnung, wie dieses magere Mädchen in ein paar Jahren aussehen würde, und fragte sich, wohin dieses Gespräch führen sollte.
Griffin drehte sich um. Sein Blick ruhte auf Rules Gesicht. „Unglücklicherweise werde ich nicht mehr da sein, um das zu erleben.“
Rule sah auf. „Sir?“
„Ich werde bald sterben, Rule. Anders kann ich es leider nicht ausdrücken. Ich habe verschiedene Ärzte konsultiert, die alle derselben Meinung sind. Ich werde sterben und es gibt keine Möglichkeit, dies hinauszuzögern.“
Rule stockte der Atem. Zum ersten Mal bemerkte er den gelben Schimmer auf Griffins Haut und die tiefen dunklen Ringe unter seinen Augen.
Er schluckte. „Was … was ist mit Ihnen, Sir? Unter welcher Krankheit leiden Sie?“ Griffins Blick blieb ausdruckslos. Er schüttelte den Kopf. „Eine Fehlfunktion der Leber. Die Ärzte können nichts mehr für mich tun.“
Rule hatte das Gefühl, es schnürte ihm die Brust zusammen. Er konnte kaum atmen. Howard Griffin war der vitalste Mann, dem er je begegnet war. Wohin er auch ging, stets schien ihn eine Aura von Macht und Autorität zu umgeben. Sie kannten einander nicht sehr gut, doch Rule empfand großen Respekt vor ihm.
„Es tut mir leid, Sir. Mir fehlen die Worte. Sie sagen, die Ärzte sind sich sicher?“
„Ich fürchte ja. So ungern ich es auch tue, es ist an der Zeit, der Wahrheit ins Auge zu blicken und entsprechende Pläne zu machen.“
Rule wappnete sich. „Was immer Sie brauchen, Sie wissen, dass Sie auf mich zählen können.“
Griffin blickte Rule zufrieden an. „Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen würden.“ Dann wandte er sich wieder dem Fenster zu. „Auch wenn ich bezweifle, dass Sie auch nur im Entferntesten ahnen, um was ich Sie bitten möchte.“
Rule antwortete nicht.
„Was immer das Schicksal auch für mich bereithalten mag, meine größte Sorge gilt meiner Tochter. Bevor ich gehe, muss ich wissen, dass ihre Zukunft abgesichert ist. Ich muss sicher sein, dass sie gut versorgt sein wird und dass sie das Zuhause bekommen wird, das eine Frau von ihrem Stande sich wünscht. Kurz gesagt: Ich muss einen guten Ehemann für sie finden.“
Rules Kehle schnürte sich plötzlich zu. Howard Griffin sah ihn ihm doch nicht etwa einen Kandidaten für die Hand seiner Tochter?
„Sie mag Sie, Rule. Ich glaube, sie hat sich sogar auf mädchenhafte Art ein wenig in Sie verliebt.“
„Sie meinen doch nicht …“
„Ehrlich gesagt, das tue ich, aber Sie müssen mich nicht so erschrocken ansehen. Was ich vorschlage, ist nicht das, was Sie denken.“
„Ich verstehe Ihre Angst, Mr Griffin, aber wie Sie schon sagten, Ihre Tochter ist erst sechzehn.“
„Und doch ist es meine Pflicht als Vater, mich um ihre Zukunft zu kümmern. Ich muss dafür sorgen, dass sie sich vorteilhaft verheiratet, damit sie glücklich und versorgt sein wird. Stünde mir mehr Zeit zur Verfügung, würde ich das alles natürlich anders regeln. Unglücklicherweise aber ist gerade Zeit etwas, was ich nicht mehr habe.“
Rule konnte nur ahnen, wie dieser Mann sich fühlen musste. Er hatte eine Tochter, die er liebte, und er würde nie erleben, wie sie zu einer Frau heranwuchs. „Ich sehe, in welcher Zwickmühle Sie sich befinden, Sir, aber ich fürchte …“
„Meine Wahlmöglichkeiten sind begrenzt, Rule. Ich muss Vorkehrungen für die Zukunft meiner Tochter treffen, auch wenn sie in mancher Beziehung noch ein Kind ist. Das ist der Grund, warum ich ihren zukünftigen Ehemann bitten würde zu warten, bis sie erwachsen ist, ehe die Ehe vollzogen wird. Sie muss mindestens achtzehn Jahre alt sein.“
Rule schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, Sir. Sosehr ich Sie auch respektiere, wenn Sie mich bitten, Ihre Tochter zu heiraten, dann werde ich, so fürchte ich …“
„Ehe Sie mir antworten, hören Sie mir bitte bis zum Ende zu.“
Dieser Mann war dem Tod geweiht. Das Mindeste, was Rule tun konnte, war, ihm die Höflichkeit zu erweisen, zuzuhören. Er nickte kurz. Eines war sicher. Wie sehr er Howard Griffin
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