Verfuehrung in bester Gesellschaft
leben.
Der Organist begann den Hochzeitsmarsch zu spielen. Rule wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Augenblick zu. Violet ging neben ihrem Vater und lächelte nervös, als sie auf ihn zukam. Er dachte daran, dass er noch einige Jahre Zeit haben würde, bevor er Verantwortung übernehmen und seine ehelichen Pflichten ausüben müsste.
Rule setzte ein Lächeln auf, von dem er hoffte, dass es überzeugend wirkte. Er dachte an die Möglichkeiten, die vor ihm lagen, an die Erfüllung des Versprechens, das er seinem Vater gegeben hatte, und machte sich bereit, seine Braut zu begrüßen.
Violet lächelte weiterhin, als sie den Mittelgang entlangschritt. Nur die engste Familie und ein paar gute Freunde waren anwesend. Es genügte Violet vollkommen. Sie wollte diesen Tag endlich hinter sich bringen. Am nächsten Morgen würde Rule nach London abreisen, und ihr Leben würde wieder wie gewohnt verlaufen. Wenigstens für eine Weile.
Sie wollte nicht an die Monate denken, die vor ihr lagen, und an das schreckliche Schicksal, das auf ihren Vater wartete. Deshalb schenkte sie ihre ganze Aufmerksamkeit dem Mann, den sie nun heiraten wollte. Rule lächelte ihr ermutigend zu und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Himmel, wie gut er aussah! Noch nie hatte sie einen Mann mit so blauen Augen und so dichten Wimpern gesehen. Nie zuvor schönere Lippen, voll und sanft geschwungen. Seine schwarzen Brauen bildeten einen perfekten Bogen über jedem seiner schönen Augen, die Nase war gerade, und wenn er lächelte, zeigte er eine Reihe perfekter weißer Zähne.
Als sie neben ihm stand, nahm er ihre zitternde Hand in seine große, warme Hand und lächelte aufmunternd, sodass auf seinen Wangen Grübchen erschienen. Sie hatte wirklich noch nie ein so perfektes Gesicht gesehen.
Und dieser Mann würde ihr Ehemann werden!
Bei dem Gedanken daran begannen ihre Knie zu zittern. Als ihr Vater sie an Rule übergab, straffte sie die Schultern. Trotz Rules Schönheit war Violet tief in ihrem Inneren nicht davon überzeugt, dass sie das Richtige tat. Sie heiratete, weil ihr Vater es wünschte, nicht aus eigenem Verlangen.
Während der kurzen Trauzeremonie stand Violet angespannt und kerzengerade da. Dann sprach Rule sein Gelübde und sie das ihre, und der offizielle Akt war vollbracht. Rule beugte sich vor, um ihr die Wange zu küssen.
Violet unterdrückte einen Anflug von Enttäuschung. Sie war noch nie geküsst worden. Ihrer Meinung nach verdiente sie es zumindest von dem Mann, der jetzt ihr Gemahl war.
„Nun, Mrs Dewar“, flüsterte er leise. Seinen warmen Atem auf der Haut zu spüren, rief eine Gänsehaut in ihr hervor. „Wie fühlt es sich an, verheiratet zu sein?“
Sie sah zu ihm auf. „Bisher habe ich noch keine Ahnung. Was ist mit Ihnen?“
Rule lachte, es war ein tiefer melodischer Laut. Natürlich war sein Lachen ebenso perfekt wie alles andere an ihm.
„Sie haben vollkommen recht, ich habe auch keine Ahnung. Ich fühle mich kein bisschen anders.“
„Vielleicht dauert es ein bisschen.“
Er lächelte und schien sich zu entspannen. „Vielleicht.“ Sie mochte seinen Akzent. Er passte so gut zu seinem makellos geschneiderten Anzug, zu seinen teuren Lederschuhen und seiner schneeweißen Krawatte.
„Ich nehme an, Ihre Familie hat eine Hochzeitsfeier geplant. Wenn das Schlimmste vorbei ist, können wir vielleicht sogar etwas essen.“
Violet lachte. Das hatte sie nicht erwartet, dass er sie zum Lachen bringen konnte. Dadurch wirkte er weniger Ehrfurcht gebietend, fast nahbar. „Ich habe großen Hunger. Heute früh hatte ich Angst, etwas zu essen. Ich war mir nicht sicher, ob ich es bei mir behalten könnte.“
„Mir ging es ebenso.“ Er lächelte. Er lächelte weiter und sie dachte: Kann dieser wunderschöne Mann tatsächlich mein Ehemann sein? Aber als er ihre Hand nahm und sie in seine Armbeuge legte, wusste sie, dass genau das der Fall war.
Sie bahnten sich ihren Weg durch die kleine Schar der Gratulanten hindurch vom Garten bis ins Haus. Rule hielt sie nah an sich und sie wusste zu schätzen, dass er sich bemühte, ein pflichtbewusster Gatte zu sein. Während der Nachmittag voranschritt, sagte sie sich, dass sich alles finden würde. Ihr Vater hatte sich nie zuvor getäuscht. Jetzt würde sie auch seinem Urteil vertrauen müssen.
Die Stunden schienen kein Ende zu nehmen, bis sich endlich alle Gäste verabschiedeten, alle außer Rule, ihrem Vater und Tante Harriet, der Schwester ihrer Mutter und eine von
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