Verfuehrung in Florenz
wenn er heute Morgen erwacht wäre, um seinen Namen auf allen Titelseiten zu finden – in Verbindung mit Wörtern wie Frauenheld oder Playboy.
Mit gesenktem Kopf stand seine vermeintliche Eroberung vom Vorabend da, das Gesicht teilweise durch das Haar verdeckt, den Stift zwischen den Lippen. Raphael fühlte, wie ihm die Kälte ins Herz kroch.
In seinen Augen waren Journalisten die niedrigste aller Lebensformen. Diese Frau mochte die unschuldigen Augen einer blonden Jungfrau Maria besitzen, trotzdem musste er auf der Hut bleiben und mit der Möglichkeit rechnen, dass sie auch jetzt noch versuchen würde, eine sensationelle Sexgeschichte zu schreiben. Es gab nur einen Ausweg: sie ausfindig zu machen und dafür zu sorgen, dass sie nichts dergleichen tat.
Bestimmt hatte sie ihren Preis. Alle hatten einen. Das war ja das Enttäuschende.
„Taxi! Taxi!“
Eve stieß eine wütende Verwünschung aus, als ein weiterer Wagen einfach an ihr vorbeifuhr. Das war schon der fünfte. Allmählich fragte sie sich, ob sie vielleicht unsichtbar war.
Natürlich nicht! Aber vielleicht wäre es besser gewesen, denn so wäre ihr wenigstens die öffentliche Demütigung durch Raphael Di Lazaro erspart geblieben.
Wie konnte er es wagen! Wie konnte er sie bloß ansehen, als wäre sie eine niedrige Lebensform, die nicht einmal seine Verachtung verdiente?
„Taxi!“
Hätte es hier nicht von eleganten Frauen in Designerkleidung und mit schicken Sonnenbrillen in der makellosen Frisur gewimmelt, hätte Eve sich wahrscheinlich auf den Bordstein gesetzt und geweint. So blieb ihr nur eine andere Möglichkeit.
Sie brauchte Schokolade.
In der Nähe gab es ein kleines Café mit einigen Tischen auf dem Bürgersteig. Der Duft von frischem Kaffee und heißem Gebäck war unwiderstehlich. Während Eve sich unter die Leute an der Theke mischte, fragte sie sich unwillkürlich, wieso in Florenz alle so unglaublich gut aussahen. Soeben war sie zu dem Schluss gekommen, dass wohl Calvin Klein gerade hier in der Nähe ein Casting durchführte, als das schrille Klingeln ihres Handys sie aus ihren Gedanken riss.
Hastig öffnete sie die geräumige Handtasche, wühlte hektisch zwischen alten Fahrkarten, Bonbontüten und Kugelschreibern herum und förderte triumphierend das Handy zutage, noch ehe es zu klingeln aufhörte.
„Lou!“
„Hi, Süße! Du hast versucht, mich anzurufen. Alles in Ordnung?“
„Wo warst du? Ich hätte dich gebraucht!“
„Ich war hier, aber ich gehe lieber nicht ans Telefon – für den Fall, dass es Marissa ist. Angeblich bin ich doch dem Tod von der Schippe gesprungen, schon vergessen? Leider erinnere ich mich nicht mehr, was ich ihr alles über meinen Zustand erzählt habe. Aber das ist jetzt nicht weiter wichtig. Wie läuft’s?“
Der vertraute Klang von Lous Stimme war so tröstlich, dass Eve beinahe die Tränen in die Augen stiegen. Sie musste unbedingt einiges loswerden.
„Es ist schrecklich. Ich habe alles total verpatzt!“
„Lieber Himmel, Eve, hoffentlich nicht! Marissa erdrosselt mich mit einem ihrer grellen Designerschals, wenn sie herausfindet, dass ich deine früheren Erfolge als Model und deine glanzvolle Karriere als Journalistin nur erfunden habe. Bitte, sag mir sofort, dass es nicht so schlimm ist!“
Eve schluckte nervös. „Erinnerst du dich daran, wie du diesen Filmstar aus Hollywood interviewt hast? Du hast ihm die ganze Zeit dein verführerischstes Lächeln geschenkt und erst hinterher gemerkt, dass du ein Stück Salat zwischen den Zähnen hattest. Also, bei mir ist es tausendmal schlimmer.“
Einen Augenblick herrschte qualvolle Stille. „Das glaube ich dir zwar nicht, aber ich höre.“
Die junge Frau hinter der Theke bestäubte einen Cappuccino mit Kakao. Bei ihrem Anblick fühlte sich Eve noch elender. Sogar die Kellnerinnen sahen hier wie Supermodels aus.
Vorsichtshalber hielt sie das Handy nah an den Mund und flüsterte nur. „Ich habe Raphael Di Lazaro geküsst …“
„Wie bitte? Ich kann dich nicht hören. Du hast doch nicht gesagt, dass du Raphael Di Lazaro geküsst hast?“ Lou lachte schallend und stockte. „Eve? Lieber Himmel, du hast es gesagt?“
„Ja.“
„Na gut, dann fällt mir dazu spontan eine Frage …“
„Er ist fantastisch“, flüsterte Eve und blickte starr geradeaus, ohne etwas zu sehen. Und das lag ausnahmsweise nicht an ihrer Kurzsichtigkeit, sondern an den Tränen, die ihr in die Augen gestiegen waren. „Er ist absolut nicht, wie man ihn sich
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