Verfuehrung in Florenz
kluge und vernünftige Frau wie sie glaubte doch wohl nicht an solchen Unsinn. Oder?
Sie war stets die schüchterne Zwillingsschwester gewesen, die im Schatten der selbstsicheren und extravaganten Ellie stand. Ellie hatte Horoskope verschlungen und an Vorbestimmung geglaubt und daran, dass man seinem Traum nachjagen muss. Während Eve in Oxford diszipliniert an ihrer Abschlussarbeit geschrieben hatte, verzichtete Ellie auf den Abschluss in Kunstgeschichte und schlug ihr Studentendarlehen für ein Ticket nach Florenz auf den Kopf. Einfacher Flug.
Ellie wollte Kunst, Leidenschaft und Schönheit selbst erleben und nicht in einem alten Hörsaal aus zweiter Hand davon hören. Allerdings hatte sie irgendwann in Florenz entschieden, Heroin mit auf die Liste der Dinge zu setzen, die sie erforschen wollte.
Darauf lief es also hinaus, wenn man seinem Traum folgte und Horoskope las: auf einen Todesfall, der so unwichtig war, dass sich noch nicht einmal die Polizei damit beschäftigen wollte.
Wenn die Polizei ihr keine Hilfe anbot, hatte sich Eve geschworen, wollte sie auf eigene Faust etwas unternehmen. In den zwei Jahren seit dem Tod ihrer Schwester schien ihr vorher schon nicht aufregendes Leben noch langweiliger geworden zu sein, bis darin nur noch zwei Dinge Platz hatten: die tägliche Arbeit für Professor Swanson und das brennende Verlangen nach Gerechtigkeit.
Doch aus dem Gesicht, das Eve jetzt im Spiegel erblickte, sprach ein ganz anderes Verlangen. Es war das Gesicht einer Frau, die wusste, was sie wollte – und das hatte nicht das Geringste mit Rache zu tun. In ihren Augen stand unverhülltes Begehren. Und zwar ohne Rücksicht auf die Folgen.
Das neue Selbstvertrauen stand ihr gut. Nun brauchte sie nur noch diesen Mann zu finden und …
„Du warst brillant! Ein Naturtalent!“
Sienna streifte die Schuhe mit den lebensgefährlich hohen Stiletto-Absätzen ab und nahm aus einem der überall herumstehenden Kühlbehälter eine Piccoloflasche Champagner. Draußen im Saal applaudierte und jubelte das Publikum noch immer, während sie bereits einen langen Schluck nahm.
Eve sah sich benommen um. Die Show konnte doch nicht schon zu Ende sein!
„Na also“, fuhr Sienna zufrieden fort, „damit wäre die Arbeit beendet, und die Party beginnt!“
Du liebe Zeit, sie hatte tatsächlich die letzte Dreiviertelstunde mit erotischen Fantasien zugebracht!
„Die Lazaro – Partys sind immer irre wild.“ Völlig ungeniert streifte Sienna das aufregende weiße Hochzeitskleid aus Leder und Tüll ab, das sie im Finale getragen hatte, und schleuderte es achtlos von sich. „Hast du gesehen, wie viele Berühmtheiten da draußen sind? Ich kann es gar nicht erwarten, mit ihnen anzustoßen. Es wird sogar gemunkelt, dass Raphael Di Lazaro wieder da ist. Er soll einfach umwerfend sein! Wenn das stimmt, muss ich einfach dafür sorgen, dass wir uns kennenlernen.“
Raphael Di Lazaro. Der Name traf Eve wie ein Schlag und holte sie unsanft in die Realität zurück. Raphael Di Lazaro war der Mann, an den sie sich heute Abend heran machen sollte. Dafür war sie hier, nicht für wirre Träume von breiten Schultern vor einer weißen Marmorsäule.
„Wenn du ihn findest, kannst du mich ihm auch vorstellen“, sagte sie. „Den geheimnisumwitterten Raphael Di Lazaro würde ich auch gern kennenlernen. Bisher habe ich nicht einmal ein Foto von ihm auftreiben können. Wieso lebt er so zurückgezogen?“
Sienna zuckte mit den Schultern. Sie trug jetzt ein rückenfreies, sicherlich sündhaft teures Nichts von einem Kleid in leuchtendem Pink und schlüpfte soeben in rosa Satinschuhe, denen sogar Eve die Herkunft aus einem berühmten Salon ansah.
„Er war schon weg, bevor ich als Model für Lazaro anfing“, berichtete Sienna, „aber die Leute hier reden noch immer über ihn. Es heißt, dass seine Freundin mit seinem Bruder durchgebrannt ist. Du wirst Luca kennenlernen. Die Brüder sind jedenfalls nicht miteinander ausgekommen. Ich habe gehört, dass Raphael nach Südamerika gegangen ist, aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Schließlich ist er Modefotograf, und Südamerika bringt man ja wohl kaum mit Mode in Verbindung, oder?“
Eve lachte bitter auf. „Nein.“ Mit Drogen ja, mit Mode nicht.
„Jedenfalls hat er sich zwei Jahre lang nicht blicken lassen“, fuhr Sienna fort, trug rosa Lippenstift auf und presste kurz die Lippen aufeinander. „Aber schon vor seiner Abreise haben die Paparazzi einen weiten Bogen um ihn gemacht. Offenbar
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