Verführung in weißer Seide
Dazu fehlt mir die innere Kraft. Ich kann sie nicht ganz bewusst einem anderen überlassen.
“Sie wissen doch, dass sie einen anderen liebt, oder?”
“Ja.”
“Und das macht Ihnen nichts aus?”
“Er ist fort, und ich bin hier.”
McCrarys abschätzender Blick machte Cole mehr zu schaffen als die ganze Wut und der Hass zusammen. “Da gibt es noch etwas, das Tess erfahren muss. Sie sollten es auch wissen. Holen Sie sie. Sagen Sie ihr, es sei sehr wichtig.”
Coles Brust zog sich zusammen. Er wollte da nicht mitmachen. Er wollte mit Tess in sein Auto steigen und so weit es ging von hier wegfahren. Doch das war natürlich nicht möglich. Er wandte sich zur Tür, um sie zu holen.
Doch da kam Margaret ins Zimmer. Ihre Lippen zitterten, und ihre Augen waren vom Weinen gerötet.
Tess folgte ihr. Ihrem Zögern und ihrer verspannten Haltung merkte man an, wie ungern sie zurückgekehrt war. “Mom sagt, du musst mir etwas sagen.”
“Setz dich.”
“Ich stehe lieber.”
“Setz dich, Tessie”, forderte ihr Vater sie auf.
Ihr Blick bekam einen alarmierten Ausdruck, und sie nahm Platz. Cole stand neben ihr und fühlte sich immer unwohler.
“Du erinnerst dich doch an den Detektiv, den du beauftragt hast, um Phillip zu finden?”, fragte Tess’ Vater.
“Natürlich.”
“Als du kein Geld mehr hattest, um ihn zu bezahlen, habe ich die Kosten übernommen.”
Ungläubig sah Tess ihn an. “Du hast ihn bezahlt, um die Suche fortzusetzen?”
Er nickte.
“Dann hast du also deine gesamten Ersparnisse verbraucht, um …” Sie wurde blass. “Du bist jetzt mittellos, weil du versucht hast, mir zu helfen.”
“Hier reden wir nicht über mich. Wir sprechen über Phillip.”
Fassungslos holte sie Luft. “Gibt es etwas Neues?”
“Der Detektiv hat seine Spur bis auf eine Insel im Pazifik verfolgt.” Er räusperte sich. “Gestern rief der Mann mich an und sagte, er habe von einem Amerikaner erfahren, der dort festgehalten werde. Man habe bei dem Mann politisch brisante Notizen und Fotos gefunden und ihn der Spionage angeklagt. Der Detektiv sagt, es sei sehr wahrscheinlich, dass es sich bei diesem Mann um Phillip handelt.”
Ängstlich und hoffnungsvoll zugleich stand Tess vom Stuhl auf. “Ist alles in Ordnung mit ihm?”
“Soweit ich weiß, ja. Wenn es tatsächlich Phillip ist, dann …” Ian McCrary sah zu Tess und Cole. “Dann kann er schon morgen wieder zu Hause sein.”
10. KAPITEL
Für Tess war es völlig selbstverständlich, mit Cole nach Hause zu fahren. Sie waren im Krankenhaus geblieben, auch nachdem die Besuchszeit eigentlich schon lange vorüber war. Tess saß neben Cole im Auto, und ihre Gedanken überschlugen sich. Seit über einem Jahr wartete sie jetzt auf Nachrichten von Phillip, und mittlerweile waren fast alle davon überzeugt gewesen, dass er gestorben war. Auch Tess hatte schon fast die Hoffnung verloren, ihn lebend wiederzusehen. Dass er jetzt auf irgendeiner kleinen Insel in einem Gefängnis entdeckt worden war, schockierte sie.
War es wirklich Phillip? Kam er jetzt tatsächlich nach Hause? Tess hatte ihren Eltern in den Armen gelegen und geweint. Vor Freude, dass er vielleicht gefunden worden war, und aus Angst, dass er es nicht war. Immer wieder hatte sie ihren Eltern dafür gedankt, dass sie den Detektiv weiterbezahlt hatten. Auch wenn ihre Eltern es nicht wollten, sie würde ihnen jeden Cent zurückzahlen.
Was mochte Phillip zugestoßen sein? Was hatte er ertragen müssen? So viele Fragen gingen Tess durch den Kopf, dass sie den Weg zum Auto überhaupt nur gefunden hatte, weil Cole sie führte.
Erst als sie zu Coles Schlafzimmer gingen, wurde Tess bewusst, welche Folgen diese Neuigkeiten noch haben mochten. Es war möglich, dass Phillip gerade auf dem Weg zu ihr war. Was suchte sie dann in Coles Schlafzimmer?
Sie hatte ihm versprochen, fünf Monate bei ihm zu bleiben. Falls Phillip allerdings zurückkehrte, dann brauchte er alle Fürsorge und Hilfe, um zu vergessen, was für entsetzliche Dinge er erlebt hatte.
Tess sah keinen Ausweg, und sie lehnte sich kraftlos an die Kommode. Ernsthaft beobachtete Cole sie. “Cole”, flüsterte sie. “Ich weiß nicht, was ich tun soll.”
Er fragte gar nicht erst, was sie damit meinte. “Dann tu gar nichts.”
Fürs Erste war das sicher die einfachste Lösung. Mehr denn je sehnte sie sich danach, sich Halt suchend in Coles Arme zu schmiegen.
Aber Phillip könnte bereits auf dem Weg zu ihr sein. Wie erstarrt stand Tess
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