Verfuehrung unterm Silbermond
Wahrscheinlich kam sie besser mit Gefühlen zurecht als er. Könnte die Perspektive einer unbeteiligten weiblichen Person vielleicht nützlich sein? Was konnte es schon schaden, wenn er ihr die Situation schilderte?
Vielleicht stimmte es ja, was man sagte: Wenn man ein Problem laut ausspricht, wird es einfacher.
Raffaele war jetzt vierunddreißig und hatte in den letzten Jahren ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, mit möglichst wenig Aufwand den größtmöglichen Erfolg zu erzielen. Sein internationaler Ruhm war der Beweis. Was er an seinem Erfolg jedoch am meisten genoss war die Macht, die dieser mit sich brachte. Aber in den letzten Wochen hatte Raffaele erfahren müssen, wie ihm die Kontrolle entglitt. Eine Erfahrung, die ihn zutiefst beunruhigte.
„Natasha?“
„Ja?“ Obwohl sie antwortete, drehte sie sich nicht um. Sie versuchte noch immer, die Tränen wegzublinzeln.
„Elisabetta ist in einer Klinik. Man hat sie unter Geheimhaltung nach England geflogen, und mir graust davor, dass die Presse es herausfindet.“
2. KAPITEL
Natasha verharrte regungslos, ihr eigener Schmerz war wie weggeblasen. „Was?“
„Meine Schwester ist mit einem akuten Nervenzusammenbruch in eine Privatklinik im Süden Englands eingewiesen worden“, sagte Raffaele so tonlos, als lese er von einem Krankenblatt ab. „Wir versuchen natürlich, es aus der Presse herauszuhalten.“
„Wir?“
„Ich. Troy. Die behandelnden Ärzte. Sie fürchten, dass sich ihr Zustand sonst verschlechtert. Wenn die Medien Wind von der Sache bekommen, werden sie Elisabetta bei ihrer Entlassung unnachgiebig verfolgen. Das wird sie erst recht belasten. Die Sicherheitsvorkehrungen in der Klinik sind zwar massiv, aber da lungern immer Reporter herum, auf der Suche nach einer neuen Story.“
„Oh Raffaele.“ Sorge lag in den sanften blauen Augen. „Die arme Elisabetta. Was ist denn passiert?“
Er wollte ihr sagen, dass sie ihn nicht so anschauen sollte, dass sie seinen Namen nicht so sanft aussprechen sollte. Weil das Dinge in ihm auslöste, die er im Moment nicht fühlen wollte. So wäre er im Moment liebend gern auf sie zugegangen, hätte sie in seine Arme gezogen und einfach nur gehalten, die Stirn an ihr makelloses Gesicht gelegt. Hastig schüttelte er den Gedanken ab.
Schließlich musste er wieder die Kontrolle übernehmen und nicht mit offenen Augen in die nächste Katastrophe laufen, indem er sich verletzlich und trostbedürftig vor seiner eigenen Haushälterin zeigte! „Wie du weißt, hat sie keine besonders liebevolle Erziehung genossen.“ Er schluckte den bitteren Geschmack in seinem Mund hinunter. „Sie wurde geboren, weil meine Mutter so unbedingt ihrem neuen Ehemann gefallen wollte, der gern ein gemeinsames Kind haben wollte. Deshalb setzte sie Himmel und Hölle in Bewegung, um noch einmal schwanger zu werden, obwohl sie schon über vierzig war.“ Raffaele war damals ein Teenager gewesen. Er erinnerte sich gut daran, wie er sich zur Seite gestoßen gefühlt hatte. Doch als das Baby schließlich da war, hatte sich sein Beschützerinstinkt für die kleine Schwester gerührt. Bald darauf hatte er jedoch mit seinem Studium begonnen.
„Elisabetta behauptet, sie seien enttäuscht gewesen, weil sie kein Junge war. Ihr Vater hatte sich einen Erben für die Firma gewünscht, und ein zartes, künstlerisch begabtes Mädchen war genau das, was er nicht brauchte.“ Er kniff die Augen zusammen und zuckte mit düsterer Miene die Schultern. „Vielleicht hat das die Unsicherheit in ihr gesät. Vielleicht wäre es aber auch so oder so dazu gekommen. Wer kann das wissen? Ich weiß nur, dass dieses Gefühl in ihr immer stärker geworden ist.“
„Aber … ist etwas passiert?“, fragte Natasha leise. „Hat es sich zugespitzt? Gab es einen Mann?“
„Du bist so einfühlsam, Natasha. Ja, es gab eine Beziehung.“ Sein Mund wurde hart. „Zu einem Mann, von dem Elisabetta glaubte, er würde sie lieben. Doch natürlich liebte er vor allem ihr Vermögen. Verfluchtes Geld!“, stieß er bitter aus.
Natasha zögerte. Sie wusste, dass es ihr nicht zustand, ihre Meinung zu äußern, doch nur wenige Menschen wagten es, Raffaele gegenüber ehrlich zu sein. Und ihr persönlich lag viel an der aufrichtigen Meinung anderer Menschen. „Das meinst du nicht wirklich ernst, oder? Ich meine, du genießt schließlich ebenfalls den Lebensstil, den dein Geld dir ermöglicht.“ Sie milderte die unangenehme Wahrheit mit einem Lächeln ab. „Deshalb
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