Verfuehrung
äh, habe es, glaub ich, erwähnt. Hat es sicher vergessen. Ihr wißt doch, wie junge Frauen so sind.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Sollte um halb fünf zurück sein.«
»Leider kann ich nicht warten.« Julian stellte sein Glas ab und erhob sich. »Ihr dürft Eurer Enkelin mitteilen, daß ich kein geduldiger Mann bin. Ich hatte gehofft, diese Heiratsgeschichte heute regeln zu können.«
»Ich glaube, sie betrachtet sie als geregelt, Mylord«, sagte Lord Dorring traurig.
»Ich werde morgen um dieselbe Zeit noch einmal vorsprechen. Und ich wäre Euch sehr dankbar, Dorring, wenn Ihr die Güte hättet, sie an ihre Verabredung zu erinnern. Ich habe vor, sie unter vier Augen zu sprechen, bevor die Sache endgültig entschieden ist.«
»Selbstverständlich, aber natürlich, Ravenwood. Aber ich muß Euch darauf hinweisen, daß es immer schwer ist, im voraus zu wissen, wo Sophy gerade sein wird. Wie ich schon sagte, sie ist manchmal ein bißchen eigensinnig.«
»Dann erwarte ich, daß Ihr Euren Willen auch einmal durchsetzt. Sie ist Eure Enkelin. Wenn sie die Kandare braucht, dann gebt sie ihr, in Gottes Namen.«
»Gütiger Gott«, stöhnte Dorring. »Wenn das nur immer so einfach wäre.«
Julian schritt durch die Tür der kleinen, schäbigen Bibliothek hinaus in den schmalen, dunklen Gang. Der Butler, dessen Uniform genau in die Atmosphäre verblichenen Glanzes des alten Herrenhauses paßte, reichte ihm seinen Zylinder und seine Handschuhe.
Julian verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken und drängte sich an dem in Ehren ergrauten Faktotum vorbei. Die Absätze seiner glänzenden Stiefel dröhnten auf dem Steinboden. Er bereute bereits die Zeit, die er damit vergeudet hatte, sich für diesen unproduktiven Besuch förmlich zu kleiden.
Sogar eine seiner Kutschen hatte er zu dieser Gelegenheit Vorfahren lassen. Er hätte genausogut nach Chesley Court reiten können, anstatt sich die Mühe zu machen, dem Besuch offiziellen Charakter zu geben. Zu Pferd hätte er wenigstens auf dem Heimweg noch bei einigen seiner Pächter vorbeischauen und ein paar geschäftliche Dinge erledigen können. So wäre zumindest nicht der ganze Nachmittag vergeudet gewesen.
»Zum Abbey«, befahl er, als ihm der Kutschenschlag geöffnet wurde. Der Kutscher in seiner grüngoldenen Ravenwood Livree tippte sich kurz an den Hut.
Kaum war die Tür geschlossen, jagten die herrlichen beiden Grauschimmel auf einen kleinen Peitschenschnalzer los. Der Kutscher kannte seinen Herrn nur zu gut. Der Earl von Ravenwood war heute nachmittag nicht in der Stimmung für eine gemächliche Fahrt über die Landstraßen.
Julian lehnte sich in die Kissen zurück, streckte seine langen Beine aus, verschränkte die Arme und versuchte, seine Ungeduld zu zähmen. Keine leichte Aufgabe.
Er hatte nicht im Traum daran gedacht, daß sein Heiratsantrag abgelehnt werden könnte. Ein besseres Angebot würde Miss Sophy Dorring nie im Leben kriegen, und alle Beteiligten wußten das. Ihre Großeltern waren sich dieser Tatsache sicher nur allzu bewußt.
Lord Dorring und seine Frau waren fast in Ohnmacht gefallen, als Julian vor ein paar Tagen um die Hand ihrer Enkelin angehalten hatte. In ihren Augen war Sophy bereits viel zu alt, um noch auf eine so gute Partie hoffen zu können. Julians Antrag war ein Geschenk des Himmels.
Julians Mund verzog sich zu einem sarkastischen Grinsen bei dem Gedanken an die Szene, die es sicher gegeben hatte, als Sophy ihren Großeltern mitteilte, daß sie an der Heirat nicht interessiert wäre. Lord Dorring war sicher wie immer ratlos, und seine Gemahlin hatte bestimmt einen Schwächeanfall erlitten. Die Enkelin mit den bedauernswerten Lesegewohnheiten war mühelos als Siegerin aus diesem Scharmützel hervorgegangen.
Die eigentliche Frage war aber, warum die alberne Gans überhaupt so darauf erpicht war, die Schlacht zu gewinnen. Von Rechts wegen hätte sie Julians Angebot in Freudentaumel versetzen sollen. Er war schließlich und endlich bereit, sie zur Gräfin von Ravenwood von Ravenwood Abbey zu machen. Ein dreiundzwanzig Jahre altes Fräulein von bestenfalls passablem Aussehen, das auf dem Land aufgewachsen war, konnte sich, weiß Gott, keine bessere Partie erhoffen. Julian fragte sich kurz, was für Bücher Sophy wohl gelesen hatte, schob den Gedanken aber rasch wieder beiseite, ihre Bücherwahl war sicher nicht das Problem.
Das Problem war wohl eher der Hang ihres Großvaters, sein verwaistes Enkelkind zu verwöhnen. Frauen
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