Verfuhrt auf dem Maskenball
erworben. Eine Heirat mit seiner Tochter würde für die nächste Generation der de Warennes finanzielle Sicherheit bedeuten und seiner Familie einen Stützpunkt in England sichern.
Er sah, wie die Frau näher kam, die bald die Seine werden sollte.
„Sie hat also keine schiefen Zähne“, bemerkte sein Bruder.
Tyrell drehte sich um und sah, wie sein Bruder sich erhob, was keine leichte Sache war, denn er hatte nur noch ein Bein. Das andere hatte er während des Kriegs in Spanien verloren, im Frühjahr 1813. Für seinen heldenhaften Einsatz hatte man ihn in den Ritterstand erhoben und ihm ein Anwesen in Cornwall gegeben. Dort hatte er den größten Teil des vergangenen Jahres völlig zurückgezogen gelebt. Rex war ein wenig kleiner als Tyrell, aber weitaus muskulöser. Ihre Züge jedoch glichen einander, beide besaßen dunkle Haut, hohe Wangenknochen, eine gerade Nase und ein energisches Kinn. Anders als Tyrells waren Rex’ Augen braun, das Erbe eines längst verblichenen Vorfahren, Stephen de Warenne. Jetzt lächelte Rex ein wenig boshaft. Oder war es der Schmerz, der diesen Ausdruck verursacht hatte? Tyrell wusste, dass der rechte Beinstumpf ihm noch immer erhebliche Beschwerden bereitete, Rex lebte mit dem Schmerz.
„Ich hatte nicht erwartet, dass sie genauso aussieht wie auf dem Porträt“, bemerkte Tyrell ruhig und beobachtete sie noch immer genau. Normalerweise bestachen Porträts, die an einen Heiratskandidaten verschickt wurden, nicht gerade durch Ähnlichkeit. Er hatte mit Pickeln gerechnet oder einer Hakennase. Stattdessen war er überrascht worden von einer wahrhaft anziehenden Frau mit klassischen Gesichtszügen, hellblondem Haar, blauen Augen und porzellanweißer Haut. Viele Männer würden sie als wunderschön bezeichnen. Er sah das genauso, wenn auch mit einer gewissen Distanziertheit.
„Sie ist sehr schön, schöner noch als auf ihrem Porträt.“ Mit Hilfe einer Krücke kam Rex zu Tyrell gehumpelt. „Aber du scheinst dich darüber gar nicht zu freuen. Gestern schon hast du verstimmt gewirkt. Genau genommen hast du die Stirn gerunzelt und ins Feuer gestarrt. Stimmt etwas nicht? Ich hatte erwartet, dass du zufrieden bist – sie wird dir im Bett Vergnügen bereiten und dir schöne Söhne und reizende Töchter schenken.“
Am gestrigen Abend hatte er sich mit einer Flasche Brandy betrunken. Sofort erinnerte er sich wieder an den Grund für seine schlechte Stimmung. Sie hatte graue Augen und tizianrotes Haar. „Ich bin zufrieden. Warum sollte ich mit meiner Heirat nicht zufrieden sein? Lange genug habe ich auf diesen Tag gewartet. Lady Blanche ist sehr schön, und sie ist die Tochter von Lord Harrington. Natürlich bin ich zufrieden.“
Rex musterte ihn genau. Tyrell bemerkte, dass er tatsächlich erschreckend wenig fühlte, abgesehen von einer gelinden Überraschung, dass der Zeitpunkt für die Heirat nun tatsächlich herangekommen war. Vergnügen empfand er nicht dabei.
Seine Bemühungen um Elizabeth Fitzgerald lenkten ihn ab, das wusste er genau. Und vielleicht lag es an ihr, dass er jetzt weder Zufriedenheit noch Freude empfand. Doch er würde nicht zulassen, dass jemand seine Zukunft gefährdete.
Tyrell wandte sich von seiner Verlobten ab. Elizabeth Fitzgerald wirkte süß und unschuldig, gut erzogen und sittsam, aber das alles traf nicht zu. Warum konnte er nicht den Tatsachen ins Auge sehen? Sie ist mit einem nichtehelichen Kind zurück gekommen. Und warum wollte sie ihn jetzt nicht? Er kannte sich mit Frauen gut genug aus, um zu erkennen, dass sie ihn genauso begehrte wie er sie. Was wollte sie damit erreichen, dass sie sich ihm verweigerte? Oder war das wieder eines ihrer Spielchen? Denn schon an Allerheiligen hatte sie mit ihm gespielt.
„Du siehst nicht zufrieden aus. Du hörst dich nicht einmal zufrieden an. Du wirkst einfach uninteressiert“, sagte Rex und störte dabei seine Überlegungen.
Tyrell musste sich der Wahrheit stellen – es gelang ihm einfach nicht, seiner zukünftigen Braut Interesse entgegenzubringen. Dafür war sein Interesse an einer gefallenen Frau geradezu überwältigend.
Tyrell sah seinen Bruder an und wandte sich einem ebenfalls unangenehmen, allerdings ungefährlicheren Thema zu. „Bereitet dein Bein dir wieder Beschwerden?“ Er hoffte, dass das der Grund war, warum sein Bruder schon um die Mittagszeit trank, aber er fürchtete, dass es nicht so war.
„Mit meinem Bein ist alles in Ordnung, aber mit dir nicht“, erwiderte Rex. Doch im
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