Vergangene Schatten
Knie. Das letzte Mal, als er sie in der Unterwäsche gesehen hatte, trug sie eine weiße Baumwollunterhose, die vom Nabel bis zu den Oberschenkeln hinunter reichte. Zum Glück hatte sie damals eine so flache Brust gehabt, dass kein BH nötig war - sonst wäre es nämlich ebenfalls eines dieser weißen Baumwollungetüme gewesen, die alles andere als sexy waren.
Nun, aber irgendwie hatte diese Wäsche damals zu ihr gepasst.
»Bist du sicher, dass du's hören willst?«, fragte Sandra.
Die Art, wie Sandra es sagte, machte Carly augenblicklich klar, dass sie es gar nicht wissen wollte. Trotzdem nickte sie tapfer.
»Offenbar hat diese Shelby seine Schwester hierher gefahren. Sie hat im Wagen gewartet. Darum wollte seine Schwester unter vier Augen mit ihm sprechen. Der Sheriff ist hinuntergegangen, um mit ihr zu sprechen. Ein paar Minuten später hat er vom Handy angerufen und gesagt, dass er kurz wegmuss und dich in einer halben Stunde abholt.«
Carlys Hand schloss sich um das Höschen zur Faust. Sie gestand sich nur sehr ungern ein, wie sehr es ihr missfiel, dass Matt mit Shelby zusammen war. Da fiel ihr ein, dass Matt sie vorhin auf dem Dach gefragt hatte, ob sie eifersüchtig sei. Hätte sie die Wahrheit gesagt, so hätte sie mit Ja antworten müssen. Dabei war sie vorhin nicht annähernd so eifersüchtig gewesen wie jetzt.
»Der Sheriff ist ja wirklich ein flotter Bursche, und Antonio meint, dass er ein guter Junge ist«, sagte Sandra besorgt, während Carly immer noch auf das Höschen in ihrer geballten Faust hinunterstarrte. »Aber vielleicht solltest du es dir trotzdem noch mal überlegen. Es heißt, dass er einer ist, der zwar die Frauen mag, aber dann schnell wieder Reißaus nimmt. Antonio sagt, dass er die Freundinnen schneller wechselt als andere Leute ihre Socken, weil er eine Allergie gegen feste Bindungen hat. Er ist Skorpion, weißt du - ich habe Antonio gefragt, wann er Geburtstag hat -, und Skorpionen geht es nur um Sex. Du brauchst ihn dir ja nur anzusehen, dann weißt du alles. Solange du dir nur eine schöne Zeit mit ihm machen willst, ist es ja okay. Aber du hattest wahrscheinlich auch eine längere Pause, was Sex betrifft, und da ist man besonders verwundbar. Weißt du, Schätzchen, du kommst mir ganz so vor, als wärst du gerade dabei, etwas sehr Dummes zu machen, wie zum Beispiel, dich zu verlieben.«
Sandra hatte ihr auf dem steinigen Weg beigestanden, den sie während ihrer Scheidung zurückzulegen hatte. Sie wusste, wie sehr Carly verletzt worden war, und Carly zweifelte nicht daran, dass ihre warnenden Worte einer tiefen Sorge entsprangen. Im Grunde war ihr wohl bewusst, dass auf Sandra zu hören das Klügste war, was sie tun konnte. Und so atmete Carly einmal tief durch und fragte sich selbst, wie es um ihre Gefühle bestellt war. War sie wirklich im Begriff, sich in Matt zu verlieben? Jetzt, da sie darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass der Gedanke geradezu lächerlich war.
Sie drehte sich um, lehnte sich an die Frisierkommode und sah Sandra ins Gesicht.
»Weißt du«, sagte sie bestürzt, »ich glaube, ich bin schon mein ganzes Leben in Matt verliebt.«
»Das ist schlimm«, sagte Sandra voller Mitgefühl. »Das ist wirklich schlimm. Das Letzte, was du jetzt gebrauchen kannst, ist, dass dir wieder jemand das Herz bricht. Was wirst du jetzt tun?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Carly nachdenklich. »Wenn er ...«
»Sandra! Carly!« Es war Antonios Stimme, die nach ihnen beiden rief, wie Carly sogleich bewusst wurde - und sie klang so, als wäre es überaus dringend. Carly und Sandra sahen einander erschrocken an. Im nächsten Augenblick eilte Carly los, und Sandra sprang vom Bett auf. »Kommt schnell runter! Mit dem Hund stimmt was nicht!«
23
Etwas mehr als eine Stunde später verließ Carly zusammen mit Sandra, Erin, Antonio und Mike das Sprechzimmer des Tierarztes und betrat das Wartezimmer. Die grellen Lampen verliehen dem Raum zusammen mit der Klimaanlage eine unangenehme Kälte. Der Geruch von Antiseptikum vermischt mit einem Hauch von Urin und Angstschweiß war geradezu ekelerregend. Carly, die mit Jeans und T-Shirt bekleidet war, rieb sich zitternd die Oberarme in dem vergeblichen Versuch, sich ein wenig zu wärmen. Sie fühlte sich ausgelaugt und war tief betrübt. Sie konnte es einfach nicht ertragen, die kleine Annie so leiden zu sehen.
»Hallo«, sagte Matt. Zumindest glaubte sie, dass er das gesagt hatte - denn durch die versperrte Glastür, vor der er stand und
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