Vergangene Schatten
durchgemacht. Ich musste sie betäuben, um sie behandeln zu können, und ich habe ihr den Magen ausgepumpt, darum möchte ich sie erst in ungefähr vierundzwanzig Stunden wieder g«hen lassen.«
»Wir wissen das zu schätzen, was Sie für den Hund getan haben«, sagte Sandra, die von Annies Leiden ebenfalls erschüttert war. »Sollen wir gleich bezahlen oder erst, wenn wir sie abholen?«
Wenigstens bestand für Sandra nun kein Zweifel mehr daran, dass Annie zu ihnen gehörte. Sogar ein so schreckliches Ereignis konnte noch seine guten Seiten haben.
»Das können Sie machen, wenn Sie sie abholen«, antwortete Bart Lindsey.
»Okay, dann gehen wir. Danke, Bart«, sagte Matt. »Hat mich gefreut, Sie wiederzusehen, Hiram.«
»Schönen Tag noch«, antwortete Bart, und sein Bruder fügte hinzu: »Hat mich auch gefreut. Tut mir Leid, dass es nicht unter angenehmeren Umständen passiert ist.«
Matt ließ den Arm um Carlys Schulter gelegt, als er sie hinausführte. Carly war froh über seine Unterstützung, so ausgelaugt und müde, wie sie sich fühlte. Ihr war etwas wohler, als sie von der Hitze eingehüllt wurde, die draußen herrschte. Die Praxis des Tierarztes war nicht mehr als vier Blocks vom Stadtplatz entfernt, doch bei den Verschönerungsbemühungen der Handelskammer war sie offensichtlich noch nicht berücksichtigt worden.
Auf dem Bürgersteig atmete Carly tief durch und sog mit echter Dankbarkeit die nicht gerade angenehmen Gerüche des von der Sonne aufgeweichten Asphalts und der Abgase der wenigen vorbeifahrenden Autos in sich auf. Die Gerüche hatten etwas so angenehm Alltägliches an sich, dass sie die Übelkeit, die sie beim Tierarzt überkommen hatte, verdrängten. An der roten Ampel stand ein Pick-up, von dem plötzlich ein kräftiges Hupen ertönte, gefolgt von einem fröhlichen »He, Matt!«. Carly sah eine knorrige Hand aus dem offenen Fenster des halb verrosteten dunkelblauen Kleintransporters winken. Matt winkte zurück, und wenige Augenblicke später fuhr der Wagen los, als die Ampel auf Grün umsprang.
Jetzt, da Carly die Arztpraxis mit ihren typischen Geräuschen und Düften verlassen hatte, begann sie sich wieder etwas kräftiger und besser zu fühlen. Doch obwohl sie wieder fähig war, auf ihren eigenen zwei Beinen zu stehen, lehnte sie sich weiter an Matt. Er gab ihr ganz einfach ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit.
Wenngleich sie vielleicht eher jemanden gebraucht hätte, der sie vor sich selbst beschützte.
»Carly!« Ein weißer Lieferwagen rollte vorüber, und ein Mann rief durch das offene Fenster ihren Namen. Carly blickte auf und sah, dass es Barry Hindley war. »Ich hab das mit deinem Hund gehört. Ist er okay?«
»Ja, das wird schon wieder«, rief Sandra, als sie sah, dass Carly kein Wort herauszubringen schien. Barry winkte noch einmal und fuhr weiter.
»Also, was habt ihr jetzt vor?«, fragte Erin und blickte neugierig zwischen ihrem Bruder und Carly hin und her. Es schien für sie eine klare Sache zu sein, dass sie beide ein Paar waren, wie Carly mit einem Mal bewusst wurde. Sie selbst war sich da jedoch nicht so sicher; für sie war im Moment überhaupt nichts mehr sicher - schon gar nicht, was ihr Verhältnis zu Matt betraf.
Wie sie so an sich und Matt dachte, fiel ihr auf, dass Mike dicht hinter Erin stand, während Antonio näher bei Sandra stand. Das erstere der beiden Pärchen fand Carly besonders interessant, wenngleich sie im Moment noch zu sehr unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse stand, um sich Gedanken über die Beziehungen von anderen zu machen. Ja, sie war noch nicht einmal imstande, sich Gedanken über ihre eigene Beziehung zu machen, falls man das, was zwischen ihr und Matt war, überhaupt so nennen konnte. Sie musste sich zu ihrer Bestürzung eingestehen, dass sie vor allgm ein starkes Verlangen hatte, mit ihm zusammen zu sein, dass sie aber keine Ahnung hatte, ob es ihm genauso ging. Sie wusste nur, dass sie seine Kraft und seine Wärme brauchte wie die Luft zum Atmen.
Wenn sie sich jedoch in Erinnerung rief, dass er sie als seine »einzige echte Freundin« bezeichnet hatte - und zwar im Gegensatz zu anderen Frauen, mit denen er gewisse andere Dinge teilte -, dann war es wohl keine gute Idee, sich mit ihm auf irgendetwas einzulassen.
»Carly kommt mit mir«, sagte Matt zu seiner Schwester, ohne sich erst die Mühe zu machen, Carly zu fragen, was sie vorhatte. Nicht, dass sie etwas Besseres vorgehabt hätte. Im Grunde war ihr alles recht,
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