Vergebliche Suche nach Gaby
du?“
Siegfried ließ mit
übertriebener Aufmerksamkeit den Blick wandern — und konnte natürlich keinen
Lauscher entdecken.
„Im Kofferraum!“, flüsterte Bruno.
„Ich habe ein Mädchen im Kofferraum.“
„Was?“
„Ein Mädchen. Gefesselt,
geknebelt. Aber sie ist bei Bewusstsein.“
Siegfried stieß schnaubend die
Luft aus. Er hielt die Fernbedienung noch in der Hand.
Das Tor der Einfahrt schloss
sich mit dumpfem Alteisen-Klang, das der Garage wurde geöffnet.
Bruno stieg sofort wieder ein
und der Wagen wurde auf die freie Box gelenkt.
Motor aus. Bruno kam zum
Kofferraum und legte abermals die Finger über die Lippen — als wäre die erste
Warnung nicht genug.
Der Deckel wurde geöffnet.
Beide blickten auf Gaby. Sie lag in gekrümmter Haltung. Und hatte versucht, die
Augenbinde abzustreifen. Aber ohne Erfolg. Das Tuch war festgezogen und
verknotet.
Siegfried saugte die Lippen ein
und machte eine Miene, die sein Bruder nicht deuten konnte.
Gaby versuchte zu sprechen,
aber durch den Knebel drang keine verständliche Silbe.
Bruno beugte sich über sie.
„Du bleibst liegen wie du
liegst!“ Verstanden?! Dann geschieht dir nichts und du hast Luft zum Atmen.
Wenn du Zicken machst, schließe ich den Deckel.“
Gaby bewegte den Kopf, blieb
aber stumm.
Bruno trat auf den Hof und
Siegfried schloss das Tor.
Die beiden ähnelten sich etwas.
Bruno war größer und drei Jahre älter, nämlich 186 cm und 1961 geboren. Beide
waren knochig mit übergroßen Händen, konnten sich kiloweise fetten Braten
reinpfeifen ohne dick zu werden und hatten kalte, fischige Augen, die scheinbar
nie zwinkerten. Bruno hatte sein fahl blondes Haar zum Stoppelschnitt gestutzt.
Siegfried trug Scheitel, weil er meinte, dass ihn das als Geschäftsmann
aufwerte. Der Ring im linken Ohr passte dazu überhaupt nicht, war aber
wenigstens mit einem Diamanten verziert. Siegfried war als Freistil-Ringer
Mitglied in einem Sportclub gewesen, hatte aber wegen mehrerer Vorstrafen die
Zugehörigkeit verloren. In der Glotze sah er sich häufig
Wrestling-Kasperle-Theater an, grölte jedes Mal vor Vergnügen und dachte dann
mit Bedauern an seine alten Zeiten.
Sie entfernten sich von der
Garage. Erst jetzt fiel Siegfried auf, dass sein Bruder einen mittelgroßen
Metallkoffer schleppte.
„Was ist los mit dem Mädchen,
Bruno?“
„O verdammt! Verdammt! So was
kann auch nur mir passieren.“
„Nämlich?“
„Das ist die Göre von ‘nem
Oberbullen. Vom Kommissar Glockner.“
„Das ist doch der, der dich mal
in der Mache hatte.“
„Ja, der!“
„Na prima! Und jetzt hast du
seine Tochter gekidnappt. Wohl als Druckmittel, wie? Willst du ihm nahe legen,
dass er den Dienst quittiert und Frühpensionär wird, wie? Ich glaube, du bist
übergeschnappt.“
„Hör doch erst mal zu, bevor du
auf mir rumhackst.“
Sie traten ins Haus.
Im Terrassenzimmer kicherte eine
Frauenstimme. Sie kam aus dem TV und gehörte zu einer Moderatorin, deren
Wortschatz für einen Hauptschul-Abschluss nicht gereicht hätte. Aber sie besaß
seidiges Langhaar, konnte mit den Augen rollen und berichtete gern über
Peinlichkeiten aus ihrem Privatleben. Auf der Mattscheibe galt sie als
Quotenbringer.
„Wodka? Den kann ich jetzt
gebrauchen.“ Bruno griff sich das Glas.
„Wozu hast du den Koffer?
Willst du dich hier einquartieren?“
„Da sind 5,7 Millionen D-Mark
drin.“
„Wie bitte?“
„Es hängt mit dem Mädchen
zusammen.“ Bruno leerte das Glas auf einen Zug. „Schließ immer deine Türen ab!
Das kann ich dir nur empfehlen, Sigi. Sonst kommen die falschen Leute zum
falschen Moment rein. Kann dumm laufen, so was.“
Er ließ sich in einen Sessel
fallen und erzählte dann, was passiert war.
„Von den Bären“, schloss er,
„habe ich zwar nichts gesehen. Aber zwei sind tatsächlich aus dem Zoo
entwichen. Im Autoradio habe ich die Durchsage gehört. Zwei unbekannte Männer —
sie wurden gesehen, können aber nicht näher beschrieben werden — haben die
Gehege-Tür aufgebrochen. Ist ja auch egal. Entscheidend ist, dass mich die Göre
mit dem Geld überrascht hat. Mit bergeweise Knete. Und sie weiß, wer ich bin.“
Sigi hatte sich ein frisches
Glas eingeschenkt, trank aber nicht. Klarer Kopf war jetzt angesagt, denn Bruno
musste kontrolliert werden. Er neigte zu unüberlegten Handlungen.
„Fast sechs Millionen! Hast du
einen Opferstock geknackt oder eine alte Oma beraubt?“
Bruno grinste. „Der Überfall
auf das Geldtransport-Büro am 20.
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