Vergebung
Unterschrift konnte aber auch so gedeutet werden, dass der Ministerpräsident die Gründung einer Gruppe abgesegnet hatte, die auch Kontrollen »besonders heikler Personen« außerhalb der Sicherheitspolizei durchführen durfte, zum Beispiel des Ministerpräsidenten selbst. Letzteres schuf potenziell ernste politische Probleme.
Evert Gullberg stellte fest, dass der Johnny Walker in seinem Glas zur Neige ging. Er hatte keine besondere Vorliebe für Alkohol, aber es war ein langer Tag und eine lange Reise gewesen und er fand, dass er einen Lebensabschnitt erreicht hatte, in dem es nicht mehr wichtig war, ob er sich einen oder zwei Whiskys genehmigte. Er goss sich noch eine Miniflasche Glenfiddich ein.
Die heikelste Affäre überhaupt war freilich die mit Olof Palme gewesen.
Gullberg erinnerte sich noch an jedes Detail des Wahltags 1976. Zum ersten Mal in der neueren schwedischen Geschichte gab es, durch den Sieg der Zentrumspartei, eine bürgerliche Regierung. Leider wurde Thorbjörn Fälldin Ministerpräsident und nicht Gösta Bohman, ein Mann alter Schule, der unendlich besser für den Posten geeignet gewesen wäre. Aber Hauptsache, der Sozialdemokrat Palme war geschlagen. Evert Gullberg konnte aufatmen.
Palmes Eignung zum Ministerpräsidenten war in den geheimen Korridoren der RPF/Sich mehr als einmal Gegenstand der mittäglichen Gespräche gewesen. 1969 war Per Gunnar Vinge gefeuert worden, nachdem er einen Verdacht ausgesprochen hatte, der von vielen in der Abteilung geteilt wurde - dass nämlich Palme ein Spion des KGB sein könnte. Leider hatte er dies auch gegenüber Landeshauptmann Ragnar Lassinantti geäußert, als er ihn in Norrbotten besuchte. Lassinantti hatte zweimal die Augenbrauen hochgezogen und danach die Regierungskanzlei informiert, woraufhin Vinge zu einem Einzelgespräch bestellt worden war.
Zu Gullbergs Verbitterung war die Frage nach Palmes eventuellen KGB-Kontakten nie beantwortet worden. Trotz hartnäckiger Versuche, die Wahrheit herauszufinden und die entscheidenden Beweise zu liefern - the smoking gun -, hatte die Sektion nie auch nur den geringsten Hinweis darauf gefunden, dass Palme sich schuldig gemacht hatte. In Gullbergs Augen deutete dieser Umstand jedoch nicht auf Palmes Unschuld hin, sondern möglicherweise darauf, dass er ein besonders verschlagener und intelligenter Spion war, der sich nicht zu den Fehlern hinreißen ließ, die andere russische Spione begangen hatten. Palme täuschte sie Jahr für Jahr. 1982 wurde die Palme-Frage noch einmal aufgegriffen, als er erneut Ministerpräsident wurde. Doch dann fielen die Schüsse am Sveavägen, und die Frage blieb auf alle Zeiten akademischer Natur.
1976 war ein problematisches Jahr für die Sektion gewesen. Innerhalb der RPF/Sich war gewisse Kritik laut geworden. In den letzten zehn Jahren hatten insgesamt fünfundsechzig Beamte der Sicherheitspolizei aufgrund angeblicher politischer Unzuverlässigkeit den Laufpass bekommen. In den meisten Fällen war die Beweislage jedoch so dürftig, dass manche Chefs in den höheren Etagen zu tuscheln begannen, die Mitarbeiter der Sektion seien paranoide Verschwörungstheoretiker.
Gullberg kochte immer noch vor Wut, wenn er an einen Mitarbeiter dachte, der 1968 in der RPF/Sich eingestellt worden war und den Gullberg schon damals als äußerst unpassende Wahl betrachtet hatte. Sein Name war Kriminalinspektor Stig Bergling, Leutnant der schwedischen Armee, der sich später als Oberst des russischen Militärnachrichtendienstes GRU erwies. In den folgenden Jahren versuchte Gullberg vier Mal, Bergling feuern zu lassen, doch jedes Mal wurden seine Vorstöße ignoriert. Erst 1977, als auch außerhalb der Sektion Misstrauen gegen Bergling aufkam, änderte sich die Lage. Da war es aber leider schon zu spät. Bergling wurde der größte Skandal in der Geschichte der schwedischen Sicherheitspolizei.
Die Kritik gegen die Sektion nahm in der ersten Hälfte der 70er-Jahre zu, und um die Mitte des Jahrzehnts hörte Gullberg mehrfach Vorschläge, das Budget solle gekürzt oder die gesamte Sektion am besten gleich abgeschafft werden.
In jenen Jahren besaß das Thema der terroristischen Bedrohung höchste Priorität, in puncto Spionage ein recht unergiebiger Bereich, bei dem man vorwiegend verwirrte Jugendliche im Visier hatte, die angeblich mit arabischen und propalästinensischen Gruppierungen zusammenarbeiteten. Es wurde also darüber diskutiert, ob die SiPo besondere Mittel erhalten sollte, um
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