Vergebung
Verteidigungslinie. Eine ultrageheime Gruppe, deren Mitglieder an strategischen Stellen in der Firma verteilt waren, die ansonsten aber unsichtbar blieb und weder in Berichten noch Budgetplänen auftauchte und somit auch nicht infiltriert werden konnte. Ihre Aufgabe lautete, über die Sicherheit der Nation zu wachen. Gullberg hatte die Macht, das zu ermöglichen. Er brauchte den Schatzmeister und den Amtschef, um diese versteckte Struktur zu schaffen, aber sie waren allesamt Soldaten der alten Schule und Freunde, die Dutzende von Scharmützeln mit dem Feind hinter sich hatten.
Im ersten Jahr bestand die gesamte Organisation aus Gullberg und drei handverlesenen Mitarbeitern. In den folgenden zehn Jahren wuchs die Sektion auf elf Mitglieder an, von denen zwei administrativ arbeiteten und der Rest im operativen Geschäft tätig war. Es war eine Organisation mit einer flachen Hierarchie. Gullberg war der Chef. Alle andere waren Mitarbeiter, die den Chef fast jeden Tag trafen. Effektivität wurde höher bewertet als Prestige und bürokratische Formalitäten.
Offiziell war Gullberg mehreren Leuten unterstellt, die in der Hierarchie unter dem Amtschef der Sicherheitspolizei rangierten, dem er monatlich berichten musste. Doch in der Praxis hatte Gullberg eine einzigartige Position mit außergewöhnlichen Machtbefugnissen inne. Er, und nur er, konnte beschließen, die höchsten SiPo-Führungskräfte einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Wenn es ihm gefiel, konnte er sogar Per Gunnar Vinges Leben unter die Lupe nehmen. (Was er auch tat.) Er konnte eigene Untersuchungen anordnen und Telefone abhören lassen, ohne seine Absichten erklären oder auch nur an höherer Stelle darüber berichten zu müssen. Sein Vorbild war die amerikanische Agentenlegende James Jesus Angleton, der eine ganz ähnliche Position bei der CIA ausfüllte und den er sogar persönlich kennenlernte.
Organisatorisch gesehen blieb die Sektion ein Mikroorganismus innerhalb der Organisation, der außerhalb, über und neben der gesamten übrigen Sicherheitspolizei agierte. Das hatte auch geografische Konsequenzen. Die Sektion hatte zwar ein Büro auf Kungsholmen, wurde aus Sicherheitsgründen aber praktisch komplett ausgelagert in eine private Elfzimmerwohnung in Östermalm. Die Wohnung wurde diskret zu einem voll ausgestatteten Büro ausgebaut, das nie unbesetzt war, da die langjährige treue Sekretärin Eleanor Badenbrink zwei von den Zimmern dieser Wohnung permanent bewohnte. Badenbrink war von unschätzbarem Wert für Gullberg, der ihr absolutes Vertrauen entgegenbrachte.
Finanziert wurde die Sektion durch einen »Sonderfonds«, tauchte aber in keinem Haushaltsplan der Sicherheitspolizei auf, der der Reichspolizeiführung oder dem Justizministerium bekannt war. Nicht einmal der Chef der RPF/Sich wusste von dieser geheimsten aller geheimen Organisationen, die den Auftrag hatte, die heikelsten aller heiklen Aufgaben zu lösen.
Als Gullberg um die 40 war, befand er sich daher in einer Situation, in der er keinem lebenden Menschen Rechenschaft ablegen musste und Untersuchungen gegen jeden Menschen anordnen konnte, der ihm gerade in den Sinn kam.
Von Anfang an war Gullberg klar, dass die Sektion für Spezielle Analyse Gefahr lief, eine politisch riskante Gruppierung zu werden. Die Arbeitsbeschreibung war, gelinde gesagt, vage gehalten, und schriftliche Zeugnisse jeder Art blieben äußerst knapp. Im September 1964 unterzeichnete Ministerpräsident Tage Erlander einen Erlass, dem zufolge für die Sektion Budgetmittel bereitgestellt werden mussten, damit sie ihre Aufgabe erfüllen konnte, besonders heikle Untersuchungen durchzuführen, die für die Reichssicherheit entscheidend waren. Das war eine von zwölf ähnlichen Maßnahmen, die der stellvertretende Chef der RPF/Sich, Hans Wilhelm Francke, während einer nachmittäglichen Sitzung durchsetzte. Das Dokument wurde umgehend als streng geheim eingestuft und zu den ebenso geheimen Akten gelegt.
Mit der Unterschrift des Ministerpräsidenten war die Sektion jedoch eine juristisch anerkannte Organisation geworden. Das erste Jahresbudget der Sektion belief sich auf 52 000 Kronen. Dass es so niedrig war, betrachtete Gullberg selbst als Geniestreich. Das bedeutete, dass die Gründung der Sektion wie eine reine Routineangelegenheit aussah.
Daneben bedeutete die Unterschrift des Ministerpräsidenten, dass er eine Gruppe anerkannt hatte, die zu »internen Personenkontrollen« berechtigt war. Dieselbe
Weitere Kostenlose Bücher