Vergebung
verließ er die Kanzlei und machte ein eigenes Büro auf, das sich im Laufe der Zeit zu einer veritablen Rechtsanwaltskanzlei mit einer Angestellten entwickelte.
In den folgenden Jahren wurde Bjurman von Gullberg diskret überwacht. Erst gegen Ende der 80er-Jahre stellte er die Überwachung ein, weil die Sowjetunion kurz vor dem Zusammenbruch stand und die Angelegenheit Zalatschenko keine Priorität mehr hatte.
Die Sektion setzte in Zalatschenko gewisse Hoffnungen, neue Aufschlüsse über das Rätsel Palme zu erlangen, eine Angelegenheit, die Gullberg unablässig beschäftigte. Palme war daher eines der ersten Themen, die Gullberg in dem langen Debriefing anschnitt.
Die Hoffnungen wurden jedoch rasch zunichtegemacht, denn Zalatschenko war nie in Schweden eingesetzt worden und besaß daher nur geringe Kenntnisse über das Land. Jedoch hatte er ein Gerücht über einen »roten Springer« gehört, einen Schweden in sehr hoher Position - womöglich ein skandinavischer Politiker -, der für den KGB arbeitete.
Gullberg stellte eine Liste mit Namen zusammen, die mit Palme in Verbindung gebracht werden konnten. Da waren Carl Lidbom, Pierre Schori, Sten Andersson, Marita Ulvskog und noch eine ganze Reihe anderer. Für den Rest seines Lebens sollte Gullberg jeden Tag auf diese Liste zurückkommen, die Antwort aber schuldig bleiben.
Plötzlich spielte auch Gullberg ganz oben mit. Man begrüßte ihn mit Respekt in den exklusiven Klubs der Auserwählten, in denen sich alle kannten und ihre persönlichen Beziehungen spielen ließen - fernab von offiziellen Kanälen und bürokratischen Regelungen. Er konnte sogar James Jesus Angleton höchstpersönlich kennenlernen und mit dem Chef des MI6 in einem diskreten Klub Whisky trinken.
Er war selbst eins von den hohen Tieren geworden.
Die Kehrseite der Medaille war, dass er von seinen beruflichen Erfolgen niemals erzählen konnte, nicht einmal in seinen posthumen Memoiren. Auch wurde er die Angst nie ganz los, dass der Feind seine Wege verfolgte und er die Russen so vielleicht unfreiwillig zu Zalatschenko führen würde.
Im ersten Jahr wohnte dieser in einer geheimen Wohnung, die der Sektion gehörte. Er tauchte in keinem Melderegister und in keinem öffentlichen Dokument auf. Innerhalb der Zalatschenko-Gruppe glaubte man, dass noch genug Zeit bliebe, um seine Zukunft zu planen. Erst im Frühjahr 1978 bekam er einen Pass, der auf den Namen Karl Axel Bodin ausgestellt war, sowie eine mühsam zusammengeschusterte Lebensgeschichte, die von den schwedischen Meldeämtern aber nicht infrage gestellt werden würde.
Doch da war es bereits zu spät. Zalatschenko hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als diese verdammte Hure Agneta Sofia Salander, geborene Sjölander, zu ficken, und er hatte sich ihr unbekümmert unter seinem wahren Namen vorgestellt - Zalatschenko. Gullberg dachte, der Russe sei übergeschnappt. Manchmal kam ihm der Verdacht, er wolle so schnell wie möglich enttarnt werden. Als brauchte er eine Bühne. Sonst hätte man seinen Leichtsinn nicht erklären können.
Zalatschenko ging zu Prostituierten, ließ sich volllaufen, war streitsüchtig und gewalttätig. Dreimal wurde Zalatschenko von der schwedischen Polizei wegen Trunkenheit aufgegriffen und zweimal wegen Kneipenschlägereien. Und jedes Mal musste die Sektion diskret eingreifen und dafür sorgen, dass Papiere verschwanden und Akteneinträge geändert wurden. Gullberg beauftragte Gunnar Björck damit, sich um den Überläufer zu kümmern, um das Schlimmste zu verhindern. Das war schwierig, aber es gab keine andere Alternative.
Es hätte ja auch alles gut gehen können. Zu Beginn der 80er-Jahre hatte Zalatschenko sich gefangen und begann sich anzupassen. Aber die Hure Salander gab er nie auf - und was noch schlimmer war, er war mittlerweile Vater von Camilla und Lisbeth geworden.
Lisbeth Salander.
Gullberg hatte immer ein ungutes Gefühl, wenn er diesen Namen aussprach.
Schon als die Mädchen erst neun, zehn Jahre alt waren, hatte Gullberg dunkle Vorahnungen mit dieser Lisbeth Salander gehabt. Man brauchte keinen Psychiater, um zu erkennen, dass sie nicht normal war. Gunnar Björck berichtete, dass sie Zalatschenko gegenüber trotzig, gewalttätig und aggressiv war und nicht die geringste Angst vor ihm zu haben schien. Sie sprach selten, signalisierte aber in vielfacher Weise ihre Unzufriedenheit. Sie begann, ein Problem zu werden, doch wie gigantisch dieses Problem einmal werden würde, hätte Gullberg sich in
Weitere Kostenlose Bücher