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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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basta. Womöglich sogar ihren langjährigen Freund. Das Motiv? Misshandlung durch den Vater, diffuser Männerhass und Schuldkomplexe gegenüber Männern. Streit mit der Mutter wegen lesbischer Konsequenzen. Martha hielt ihrer Tochter vor, dass sie in die Klapsmühle gehörte. Und das Kind manövrierte sich nach Art zerstörter Persönlichkeiten in die Situation, in der Vater und Mutter sie haben wollten: hilflos, böse, schuldig. Da gab es keinen Ausweg. Gabi war nicht zu helfen.
    Ich rief Hede an.
    Die Stimme fuhr mir in die Weichteile.
    »Wir müssen über Gabi reden«, sagte ich. »Es sieht bös aus.«
    »Dann komm!«, schnurrte Hede.
    Ich durchquerte zügig das Sekretariat. »Ich bin auf Recherche.«
    Martha schaute nur auf. Aber Marie stürzte aus der Küche. »Lisa, Moment, du kannst doch jetzt nicht … Dein Artikel … Louise …«
    »Liegt alles auf meinem Schreibtisch«, sagte ich, während die Redaktionstür zufiel. Nach mir die Sintflut.
    So wie ich war, konnte ich nicht zu Hede. Also fuhr ich erst mal heim, um den Kleiderschrank zu besichtigen. Leder hatte Hede das letzte Mal schon missfallen. Schwarzes Mini mit Netzstrümpfen? Nuttig. Langer Rock? Wie eine Musikstudentin. Jeans mit Longbluse? Als hätte ich Figurprobleme. Oder Jeans mit Schlag und gestreiftem Polyesterpulli? Als wäre ich siebzehn. Oder die Trash-Kombi aus Handstrickwes te und Lederjacke vom Ibiza-Mercadillo, made in China?
    Ich war nicht eitel. Bei der Narbe im Gesicht erübrigte sich mancher Hader mit meinem Äußeren. Meine Mutter hatte mir beigebracht, nett und sauber auszusehen. Das wollte ich vermeiden. Früher hatte ich einfach nur ungepflegt gewirkt, jetzt hatte die Verkleidung System. Für den Kulturbürgermeister hatte ich auch ein Kostüm. Meine Kurzhaarbürste hatte ich als Emanzenausweis und meinen Nadelstreifendreiteiler, um Verwirrung zu stiften. Eines Tages hatte ich begriffen, dass ich zu den Frauen gehörte, die – egal, wie sie sich ausstaffierten – immer für Ärger sorgten. Ich hatte nämlich nicht gelernt, meinen Blick zu kontrollieren. Ob ich mich schmal und unsichtbar zu machen versuchte oder breitbeinig herumlungerte, solange mein Blick nicht auswich, blieb ich Zielscheibe von allerlei Attacken. Louise nannte meinen Blick einen Nuttenblick, aber nicht einen von der modernen dummen Sorte, sondern von der alten Kokotten-Art.
    Um mich für Hede unmöglich zu machen, taugte nur etwas, das nicht richtig passte und saß, etwas, das erotische Signale abtötete, zum Beispiel der Mutter-Look: ausgebeulte Leggins und zwei Sweatshirts übereinander in Rosa und Hellblau mit Wäscheklammerzipfeln und Flecken, dazu ein hellgrünes indisches Tuch als Schal und bequeme Schweißstiefel.
    Hede trug ein arabisches Hauskleid, das ihre Muskulatur bedeckte. Nur der Tänzerinnenhals und das eherne Gesicht blühten orchideenhaft rein über dem gemusterten Stoff. Als sie sich umdrehte, um vor mir her durch den schwarzen Tunnel zu gehen, sah ich mich zu der Vermutung veranlasst, dass sie keine Unterwäsche anhatte: Das Kleid knitterte zuweilen in die Pofalte. Meine Männerphantasien erwachten.
    Diesmal führte sie mich in ein Zimmer mit ordentlichen Sofas, Hifi-Turm und gläsernen Regalen mit afrikanischen Fruchtbarkeitsstatuetten. Hede hatte offenbar nichts anderes zu tun, als Leute zu empfangen. Sie bot Drinks an und lächel te. Ihr Blick war von der modernen Sorte, von einer ganz modernen, einer intellektuell kultivierten und aufgeklärten Schamlosigkeit. Sie saß aufrecht neben mir auf dem Leder, Flankenatmung, frei schwingendes Zwerchfell, die Füße flach auf dem Teppich, das Becken in der Assiette – wie man im Gymnasium des Reiters sagte –, wie auf dem Teller, flexibel auf den Sitzbeinhöckern platziert.
    »Warum«, fragte ich, »will Gabis Mutter ihre Tochter im Irrenhaus haben? Warum sucht Marie eine Anwältin, die auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert? Warum muss ich den Mi nenhund spielen? Oder besser den Dackel, den man statt in den Dachsbau in die Kanalisation hetzt.«
    Hede lächelte immer noch. »Das ist ziemlich intim.«
    Ich konnte mir nicht vorstellen, dass für sie irgendetwas intim war. Ihre nervigen Hände lagen ruhig auf den Schenkeln.
    »Gefalle ich dir?«, fragte sie.
    »Das tut nichts zur Sache. Oder war es Gabis Aufgabe, dir die Kundinnen zuzuführen?«
    Sie gurrte und schmiegte die Hand auf meinen Unterarm. »Warum etwas geschieht, ist ohne jegliche Bedeutung. Hauptsache, es geschieht.«
    »Für mich ist

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