Vergeltung am Degerloch
nie ausländisch essen geht. Wahrscheinlich war es ihm auch zu scharf. Andererseits hatte er Hunger. Und er war doch nicht schleckig, wie man in Schwaben sagte. Er aß.
»Also nehmen wir mal an«, sagte er kauend, »Uwe hat das Auto abgeschafft, um nicht mehr morden zu müssen.«
»Dann hat er wenigstens einen Mord hinter sich, für den er das Auto brauchte.«
Krk wischte sich die öligen Finger an der Serviette ab und schob die Zeitungsausschnitte auseinander. Es gab kleine rotbraune Fingerabdrücke auf dem Papier.
»Die Prostituierten können wir wegschmeißen«, sagte er. »Ebenso die Drogentoten und Obdachlosen. Lassen wir den Würger von Stammheim auch mal außen vor. Was haben wir dann? Die Siebenjährige im Dachswald.« Er starrte einen Moment bestürzt auf den Zeitungsausschnitt: Die Straße, an der die Kleine den Tod gefunden hatte, hieß Im Himmel. »Da kommt man praktisch nur mit dem Auto hin«, sagte er. »Und es ist das einzige Kind. Das passt nicht ins Schema. Also weg damit. Was haben wir noch? Die Tote von Sindelfingen. Ein Wohngebiet und dicht bei Böblingen. Dann natürlich die Vermisste von Böblingen, ganz heiß.«
»Falls er direkt in seiner Heimatstadt mordete. Damals dürfte er noch sein Auto gehabt haben. Also eher unwahrscheinlich«, warf ich ein.
»Also dann die Vermisste von Herrenberg, die Rumänin.«
»Sag ich doch!«, sagte ich.
Krk lächelte. »Aber keine Leiche. Da gibt es nicht einmal einen Hinweis auf ein Verbrechen. Allerdings …« Er grinste böse. »Das würde gut zu Gabis Geschichte passen. Auch hier gibt es keinen Hinweis auf ein Verbrechen vonseiten des Jungen.« Er griff nach dem Phantombild. »Hier haben wir noch so einen Fall. Die S-Bahn-Haltestelle in Rohr. Eine Frau fühlt sich von einem Jungen bedroht und setzt sich erfolgreich zur Wehr. Das war letztes Jahr. Sie geht zur Polizei. Und sieh an. Hier ist die Rede von einem Messer.«
»Wissen Sie, wie Uwe aussah?«
Krk schüttelte den Kopf. »Diese Phantombilder sehen zwar immer so aus, als hätte der Zeichner seinen Beruf verfehlt, aber sie sollen sehr erfolgreich sein. Jemand, der Uwe kannte, hätte ihn vermutlich erkannt. Wir könnten das Bild ja mal der Mutter zeigen.«
Ich wäre am liebsten sofort aufgebrochen.
Krk schob die Blätter zusammen und wandte sich wieder dem Essen zu. Er vertilgte den Rest. Salem räumte ab. Ein Sprung Schwarzer kam in das Lokal, bei ihnen eine Weiße mit einem Mischlingskind. Krks große graublaue Augen folgten der Gruppe. Salem schlug sich durch die Leute zu uns durch mit zwei Cognac in den Händen, die er zwischen uns stellte. Mein Blick traf sich mit Krks Scheinwerfern. Er schmunzelte und schob die gefalteten Hände auf den Tisch, ohne das Glas anzurühren. Am Mittelhandknochen hatte er eine kleine Narbe. Sein Mittelfinger berührte meine Handkan te. Ich zog die Tentakel zurück. Er blies den Zigarettenrauch in den Raum und schaute auf die Bilder an den Wänden.
Ich kippte meinen Cognac. Als ich nach seinem langte, sagte er: »Sie müssen noch fahren.«
Es war vertrackt. Ich hatte eben – typisch weiblich – ein Problem zu lösen versucht, das mich nichts anging. Das größ te Manko der Frauen war nicht das kleinere Gewicht des Gehirns, was bei der generellen Minimalauslastung des Organs ohnehin keine Rolle spielte, sondern die geringere Kapazität der Leber, was bei unseren Promillegrenzen entscheidend war.
»Haben Sie solche Angst«, fragte er und kippte seinen Cognac, »dass ich aus der Rolle falle?«
»Wir sollten die Frau finden, die letztes Jahr im Juli in Rohr angegriffen wurde und davonkam.«
»Also gut. Ich werde sehen, was ich tun kann.«
12
Der Morgen war so diesig und dunkel, dass ich dachte, die Erde sei über Nacht stehen geblieben. Marie wartete mit der Nachricht auf, dass Louise meine Artikel über Gabi haben wollte und dazu noch sämtliche Rechercheunterlagen, um den Kommentar schreiben zu können. Ich mühte mich mit der Liste der vermissten und getöteten Frauen ab und gestand mir ein, dass ich überhaupt nichts Konkretes hatte, das auch nur den Gedanken an einen Artikel wert war. Über Gabis Elternhaus konnte ich nicht spekulieren, denn wir hatten die Mutter in der Redaktion. Und Hedes Folterkabinett irritierte die rechtschaffene Emanze mit politischem Bewusstsein nur. Warum bloß hatte ich am Samstag behauptet, ich hätte irgendwelche Anhaltspunkte? Gabi hatte in einem Anfall von Paranoia einen jungen Mann auf der Straße erschlagen,
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