Vergeltung am Degerloch
vergiss es. Sie ist ein Callgirl. Sie empfängt Männer und Frauen. Sie hat auf Gabi einen verheerenden Einfluss ausgeübt.«
»Sagt Martha das? Dann vergiss es.«
»Ich verlasse mich in meinen Urteilen lieber auf mich selbst. Glaub mir, Hede ist eine Hetäre. Ihre Anschauungen sind im Kern frauenfeindlich. Sie glaubt, dass Frauen vergewaltigt werden wollen. Ich habe sie mal interviewt.«
Wie hatte die schöne Marie sich wohl gegen Hedes Avancen zur Wehr gesetzt? Mein Grinsen schien der großen Kühlen entschieden zu missfallen.
»Jedenfalls«, sagte sie, »die Sexualpraktiken überlassen wir der Männerpresse und den Rotlichtbezirk dem deutschen Tatort , verstanden?«
»Ich möchte mit Louise reden!«
»Du wirst jede Menge Gelegenheit haben, mit Louise zu reden. Aber sie wird dir nichts anderes sagen als ich. Wir sind uns über unser Vorgehen völlig einig. Wir werden Gabi helfen, so gut wir können. Das sind wir schon Martha schuldig. Aber wir werden nicht irgendeinem Jungen posthum eine Mörderkarriere anhängen. Damit machen wir uns lächerlich.«
Vor meinen Augen drehte sich alles. Es war nur ein kurzer Schwenk, der das Zimmer auf den Kopf stellte, aber es reichte, um mich zu alarmieren. Der Schock trieb den Kreislauf wieder in die Höhe. Das Nächste, was ich in Angriff nahm, war der Teppich vor der Tür. Ich hackte die Beule mit der Schere auf, damit sich die Tür endlich schließen ließ. Die Fal le knackte erlösend.
Dann rief ich Krk im Anzeiger an. Er war nicht da.
Schluss für heute. Marie hatte mir das Thema weggenommen. Was sollte ich also noch hier?
14
»Göttin im Himmel«, sagte Zilla, »wie siehst du denn aus?«
Ich verlangte nach einem Doppelten, egal was.
Das Sarah war gut voll.
»Du siehst wirklich krank aus«, sagte die gute Zilla. »Ist alles in Ordnung?«
Ich kippte den Doppelten.
»Und mit dir und Petra?«, fragte ich.
Zilla lächelte fein. »Petra hat da wohl einiges falsch verstanden, oder nicht?«
»Ich fürchte, sie hat es völlig richtig verstanden.«
Zilla wurde ernst. »Na, wenigstens hast du es mir gesagt.«
Die Rothaarige mit dem jungen Körper und dem alten Gesicht war wieder da. Ich gab mich der Idee hin, dass ihr mein Blick keine Ruhe gelassen hatte. Manchmal war man von den Leuten besonders fasziniert, die einen abschreckten. Vermutlich kannte sie sich als stramme Heterofrau, aber jetzt wollte sie es wissen. Manchmal musste man Leute wiedersehen, um zu überprüfen, ob sie die Macht hatten, die innere Unruhe noch ein zweites Mal auszulösen. In den wenigen Minuten, die ich an der Theke hing, war ich ihrem Blick schon dreimal begegnet. Und jedes Mal zuckte er in die Bloody Mary zurück. Jetzt musste ich lange Leine lassen. Kein Zwinkern, kein Zuprosten.
Zilla schob mir das Telefon hin. »Für dich.«
Es war Martha. »Entschuldigung, dass ich Sie störe.«
»Och.«
»Aber ich glaube, es ist dringend. Dieser Typ hat wieder angerufen, dieser Journalist. Er wollte Sie unbedingt sprechen. Er wollte sogar Ihre Privatnummer haben. Aber das geht natürlich nicht. Ich dachte mir, dass Sie vielleicht im Sarah wären …«
»Stimmt.«
»Er hat mir seine Nummer gegeben. Haben Sie was zu schreiben?«
Ich winkte Zilla. Zilla suchte. Ich notierte. Eine Privatnummer offensichtlich. Martha entschuldigte sich noch mal. Das gute Stück. Ich tippte die Nummer. Niemand ging ran. Also, was sollte das? Die mondgesichtige Uhr über der Theke zeigte halb neun.
»Gibt’s Probleme?«, erkundigte sich Zilla.
Ich tippte nur, um nichts unversucht gelassen zu haben, Krks Redaktionsnummer in die Tastatur. Währenddessen kam die Rothaarige an die Theke. Sie streifte mich fast, vermied es aber, mich anzusehen, und bat Zilla um Streichhölzer. Ich ließ sofort die Flamme meines Feuerzeugs springen. Sie äugte. Jetzt hatte es genug geklingelt in Krks Kabäuschen. Ich konnte den Telefonhörer loswerden und mich der Rothaarigen zuwenden. Mir wurde wieder schwindlig.
Die Rothaarige ließ sich Feuer geben.
»Hast du eben Karl Kraus gesagt?«, fragte Zilla.
»Warum?«
»Das ist doch der von der Zeitung? Von dem habe ich schon gehört. Louise hatte mal was mit dem, ich meine geschäftlich. Er fotografiert ziemlich viel herum. Das muss ein ziemlich perverses Schwein sein.«
Ich hatte genug von Perversionen.
»Pervers sind sie doch alle«, bemerkte die Rothaarige. Ihre Haare waren kurz wie ein Rattenfell. Ihre Fingernägel waren zwar lackiert, aber abgefressen. »Ist doch wahr.
Weitere Kostenlose Bücher