Vergeltung am Degerloch
Archivarin hatte sich eine Strähne in die Stirn gestohlen. Sie lächelte. »Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter.«
Ich stöhnte.
»Soll ich Ihnen Kopien machen?«
»Danke.«
Gegen halb sieben kam Krk in unseren Kerker. Als echter Journalist war er neugierig auf meine Fundstücke. Als Mann von gesellschaftlicher Erziehung lud er mich zum Essen ein.
»Gehen wir danach zu mir oder zu dir?«, fragte ich.
Er schob irritiert das Kinn vor.
Karin Becker schaute auf meinen obersten Blusenknopf, als sie mir den Packen Kopien überreichte. Ich hätte sie gern umarmt.
Auf dem Parkplatz hinter dem Pressehaus baumelte ich Krk den Autoschlüssel zu. »Wollen Sie fahren?«
Er winkte so erschrocken ab, dass er sich verriet. Es lag nicht am Getriebe, sondern am Führerschein. Vermutlich Trunkenheit am Steuer. Ich fuhr die Weinsteige hinab. Eine Kette von Rasern schwänzelte durch die Kurven an den Weinhängen. Über uns der Schein des Scheinwerfers vom Fernsehturm. Unter uns das Geglitzer der ins Tal gegossenen Stadt. Immer wieder schön.
»Wonach steht Ihnen der Sinn?«, erkundigte ich mich.
»Das überlasse ich Ihnen.« Krk sah aus wie ein Mann, der übermüdet war und Hunger hatte. Bösartig wie ich war, entschied ich mich gegen italienisch oder jugoslawisch und für eritreisch. Das Samhar lag in der Immenhoferstraße. Zunächst lernten wir die Seitenstraßen kennen. Ich verfuhr mich im Verhau der Anwohnerschranken und parkte schließlich auf einer Wendeplatte. Wie immer um diese Zeit war die afrikanische Kneipe leer. An der Bar saßen ein paar Schwarze. Im Fernseher tobte ein Videobericht über Krieg und Frieden in Eritrea.
Salem, ein mächtiger Neger, mit dem ich seit einem Jahr flirtete, nahm meine Bestellung sanft lächelnd entgegen. Zweimal Injera verschiedener Farbe auf einer Platte, außerdem ein Weizen und ein Pils. Krk schien nicht zu wissen, was auf ihn zukam. Er zündete sich eine Zigarette an und fächerte meine Kopien über den Tisch. »Was wollen Sie damit beweisen?«
»Man müsste an die Polizeiakten rankommen«, sagte ich. »Man bräuchte Tathergänge, Adressen, Spuren.«
»Aussichtslos«, sagte er.
»Ich hatte eigentlich auf Ihre Kontakte zur Polizei gehofft.«
Krk schüttelte den Kopf. »Beschränken wir uns erst einmal auf die Toten im Zusammenhang mit Straßenbahnhaltestellen. Uwe hatte ja kein Auto.«
»Deshalb!«, schrie ich. Ein Ruck ging durchs kahle Lokal. »Aber klar doch«, flüsterte ich. »Deshalb wollte Uwe kein Auto mehr haben. Er wollte nicht mehr auf Mordtouren gehen. Er stand unter Zwang. Er hat dagegen angekämpft. Er hoffte, ohne Auto käme er nicht mehr in Versuchung. Seine ersten Aktionen muss er mit einem Auto gemacht haben. Op fer auf dunklen Landstraßen. Zum Beispiel die vermisste Rumänin.«
Krk schüttelte immer noch sachte den Schädel. »Sie haben eine absurde Phantasie.«
»Aber es klingt doch plausibel. Uwe fährt nachts mit dem Auto herum. Er gabelt Frauen auf. Er tötet sie. Zerschneidet sie, was weiß ich. Versteckt die Leichen. Dann schafft er das Auto ab, weil er hofft, damit das Ritual zu durchbrechen. Es funktioniert nicht. Er sucht sich seine Opfer nun per Straßenbahn an den Endhaltestellen.«
»Ein Sexualmörder variiert sein Ritual nicht. Sonst stellt sich die Befriedigung nicht ein.«
»Wenn Sie es sagen …«, sagte ich.
Krk zuckte zusammen und ließ die Zigarette fallen. Die Kippe kullerte über den Holztisch.
Salem brachte das Bier, legte mir die Pranke auf die Schulter und ging dann wieder.
»Sie meinen doch nicht im Ernst«, sagte Krk, »dass Uwe nur deshalb ein Sexualverbrecher ist, weil er seine Mutter bat, das Auto abzuschaffen.«
»Leichen lassen sich am besten im Kofferraum beiseite schaffen.«
»Haben Sie da Erfahrung?«
Ich grinste ihn an. Mich erschreckten solche Anspielungen nicht.
»Jedenfalls«, sagte er, »wird Ihnen diese Sammlung nicht viel weiterhelfen.«
Das Essen kam. Krks Augen glitten suchend über den Tisch. Kein Besteck? So einer tat sich am liebsten an Schnitzel mit Pommes gütlich. Männer aßen überhaupt gern einfache Dinge, Breie, Gulasch und Suppen, Dinge, die man reinschaufeln konnte.
»Das isst man mit der Hand«, erklärte ich, riss ein Stück von den kalten Maisfladen ab, die die Unterlage für das Fleisch mit Soße bildeten, und nahm etwas von dem Injera mit dem Maisfladen auf. Im Grunde und je länger man pantschte, desto mehr war es eine kindliche Schweinerei. Krk war pikiert wie eine schwäbische Oma, die
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