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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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denen sie mir ins Gesicht ging für den nächsten Hub aus dem tödlichen Fläschchen. Meine Hände schwabbelten sonst wo, nur nicht gegen sie.
    »Und Louise?«, stammelte ich. Beim »Wann?« empfing ich die dritte Dosis.
    »In ein paar Minuten ist es vorbei«, sagte Marie sanft. »Ja, Louise. Sie kam am Sonntagabend von der Alb. Und anders als du dummes Schaf hätte sie sofort gewusst, wer Uwe erschlagen hat. Ich habe ihr leider das mit Uwe und mir mal erzählt. Es war, als wir über mein Interview mit Hede stritten und sie mir auf den Kopf zusagte, dass mir mal ein Mann was angetan hat. Sie glaubte, ich hätte deshalb meine Karriere in der Männerwelt der Juristen abgebrochen. Aber es war eigentlich nur dieser Name, dieser verfluchte Name, Maria Magdalena Titten. Jeder glaubte, er könnte mich … Aber was soll’s, das ist ja nun vorbei. Und für Louise war es wirklich höchste Zeit abzutreten. Sie wollte die Seite wechseln. Sexspiele auf der Schwäbischen Alb. Mit jungen Männern.«
    Und Krk war so taktvoll gewesen, sich selbst als möglicher Ehemann Louises der Lächerlichkeit preiszugeben, nur um mir klar zu machen, dass Louise längst die Seite gewechselt hatte. Nun konnte ich ihm keine Abbitte mehr leisten.
    »Und für dich, du Schaf, ist es auch Zeit«, flüsterte Marie.
    Welche Versuchung, sich zu ergeben! Keine Probleme mehr, keine Schuld, keine Suche nach Entschuldigungen. Sü ße Schwere zog mich hinab.
    Aber nicht ohne Marie, die schöne Marie. Nicht ohne sie. Ein Teil von mir – vermutlich die Arme – verhedderte sich in fremden Knien. Harte Haken von Schnürstiefeln krallten sich in mein Fleisch. Ein Schrei. Sohlen zischten auf übereistem Stein. Die Stiefel sausten mir in den Leib. Dann gab es ein riesiges Entengeflatter, und kleine schwarze Wellen schwappten über den Rand.
    Im Nachbild sah ich Marie mit den Armen rudern. Die Fluten schlugen über ihr zusammen. Noch einmal richtete sie sich auf, schaffte es halb, im glitschigen Flachteich Fuß zu fassen. Doch es riss ihr die Beine auseinander. Rückwärts schlug sie gegen die Eiskante. Das Eis barst. Marie versank in Scherben und Schwarzwasser. Ein Stiefelchen noch. Ein sachtes Davonsegeln der roten Lederjacke unters Eis.
    Vielleicht rettete mir das Adrenalin im Blut, das die Adern und Lungen weitete, das Leben. Vielleicht war die Dosis auch nicht hoch genug gewesen. Nitroglyzerin schützte Herzkranke bei ungewöhnlichen Anstrengungen etwa eine halbe Stunde. Danach konnte ich wieder kriechen.
    Es begann wieder zu schneien. Der Schnee holte den Park aus der Dunkelheit. Stufen, Ecken, Bänke, Äste, Plastiken, Dächer nahmen Gestalt an. Wenn das Wetter hielt, würde man die Leiche erst nach Tagen finden.
     

30
     
    Emma schlitterte. Auf der Höhe in Degerloch lag der Schnee in der Morgensonne zentimeterdick auf Fußwegen und Fahrbahnen. Die Räumfahrzeuge waren bislang nur über die Hauptstraßen gefahren, und die Anwohner schliefen aus statt zu fegen. Selig die Kinder, die Schlitten oder Skier bekommen hatten und sie nachher ausprobieren konnten. Der Himmel war blau.
    Die wehrhafte Tür des Ärztehauses öffnete sich erst nach dem dritten Klingeln. Aber sie öffnete sich. Mein Herz klopf te, als ich die Treppen hinaufstieg. Krks Wohnungstür stand halb offen. Er kam von der anderen Flurseite direkt unterm Wasserhahn hervor mit tropfenden Haaren und nassem Gesicht, nur mit einem blauen Oberhemd bekleidet, auf dem die Tropfen dunkle Punkte zeichneten. Er starrte mich an und lehnte sich ächzend gegen die Wand. »Eigentlich habe ich mit der Polizei gerechnet.«
    »Pech«, sagte ich.
    Krk nickte langsam. Dann nahm er den kürzesten Weg in die Küche, das heißt, er fiel mehr, als dass er ging. Dort hielt er sich am Handtuchhaken fest und trocknete sich das Gesicht. »Entschuldige. Ach was, zum Teufel! Was willst du noch?«
    »Ich wollte mich bei dir bedanken.«
    »Wie bitte?« Er blinzelte in die Sonne, die zum Fenster hereinplatzte. Die im Moment eingeschränkte Funktionsfähigkeit seines Hirns reichte immerhin, sich zu erinnern, wo die Fünfzigerpackung Aspirin stand, nämlich im Wandschrank über dem Herd, wo andere Leute ihre Gewürze aufstellten. Er füllte ein Glas mit Wasser, warf drei Tabletten hinein und sank auf den Küchenstuhl an den Tisch. Das Zeug schäumte über den Glasrand.
    Ich zog die fünf Vitamin-C-Bonbons aus der Jackentasche und ließ vier davon auf den Küchentisch gleiten. Das vierte behielt ich in der Hand, um es vom Papier

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