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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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namens Lisa Nerz und eine weitere, nicht identifizierte männliche Person um diese Zeit in den Räumen der Redaktion aufhielten. Das hatte Marie keine Ru he gelassen.
    »Du solltest jetzt wohl die Polizei anrufen«, sagte sie.
    Anscheinend gab es nichts, was sie wirklich aus der Bahn warf. Sie stand schön und kühl auf dem Teppich, in schwarzen Schnürstiefeletten, blauen Jeans und einer kurzen roten Lederjacke. Auf den blonden Haaren saß eine schwarze Baskenmütze, auf der die Tropfen geschmolzenen Schnees glitzerten.
    Doch meine Hand, mit der ich nach Marthas Telefon lang te, zitterte so, dass ich sie beschämt wieder einzog. Auch wusste ich schlichtweg nicht, wie ich den Hauptwachtmeistern klar machen sollte, dass sie unverzüglich den Journalisten Karl Kraus suchen und festnehmen mussten. Kommissar Rasch, der mich immerhin kannte, saß jetzt vermutlich bei der Weihnachtsgans mit Rotkraut und Maronen.
    »Krks Geständnis glaubt mir doch keiner«, sagte ich. »Und eskalierende Beziehungsstreitigkeiten sind häufig zu Weihnachten.«
    »Du hast doch nicht wirklich eine Beziehung mit dem?« In Maries blauen Augen erschien so etwas wie Entsetzen.
    »Nuuun ja, Beziehung …«
    »Na gut.« Marie griff zum Telefon. »Was ich gesehen ha be, reicht vermutlich, diesem Arschloch erst mal die Polizei auf den Hals zu hetzen.«
    Was waren das für Worte aus Maries Mund?
    »Und dann bringe ich dich nach Hause, falls Kraus noch nicht genug von dir hat.«
    »Ich glaube, er bringt sich um«, sagte ich. Zuweilen gab es Erkenntnisse, die formierten sich zu Gewissheiten in jenen Teilen des Hirns, die den Operationen des Bewusstseins nicht zugänglich waren. »Er hat die Taschen voller Gift. Lassen wir ihn sterben.« Dass mir die Stimme dabei brach, war mir peinlich.
    Marie wandte sich taktvoll ab. Offenbar hatte sie noch irgendetwas in ihrem Büro zu erledigen. Noch immer lagen die fünf Vitamin-C-haltigen Bonbons auf Marthas Tisch. Ich sackte sie ein. Hede fiel mir ein, der ich Marthas Weihnachtsgebäck überlassen hatte. Wie hatte es Krk eigentlich geschafft, mich das erste Mal zu vergiften?
    Marie kam wieder. »Geh’n wir?«
    »Wohin?« Krk durfte nicht sterben, bevor er mir die Antwort gegeben hatte. Wo war er hingegangen? Wo ging einer wie er hin? Vielleicht wäre ihm noch zu helfen.
    Ich registrierte nur am Rande, dass Marie mich aus dem Stuhl zog und zur Tür führte. Ich glaube, dass sie mir erzählte, dass sie mich mit zu sich nehmen werde. Dort werde Kraus mich nicht finden. Ein obstinater Winkel meines Hirns reagierte mit Häme. Natürlich würde er mich finden. Er kannte Maries Adresse.
    Draußen war es kalt. Der Schnee überzuckerte die Autodächer. Dass einem beim Schnee immer Zucker einfiel. Warum nicht Arsen? Die Absätze von Maries Schnürstiefeln und meinen Westernstiefeln knallten, wo der Schnee nicht liegen blieb, und hallten zwischen den Häuserwänden. Marie wandte sich zum Kaufhaus Breuninger über den Markt- und Schillerplatz zur U-Bahn-Haltestelle Schlossplatz.
    »Kennst du eigentlich«, fragte ich, »eine Magdalena Titten? Sie hat auch in Tübingen Jura studiert. Sie muss in deinem Alter gewesen sein.«
    Der Schlossplatz öffnete sich vor uns. Links der Betonkoloss des Buchhauses Wittwer und die Betonwehre des Kleinen Schlossplatzes (die zehn Jahre später einem grünlich schimmernden Glaswürfel für Stuttgarts Sammlung moderner Kunst gewichen sind), dann die Säulen des Königsbaus, davor das blaue Schild zur U-Bahn. Der goldene Hirsch auf dem Kunstverein, rechts das Neue Schloss. Die Springbrunnen waren trockengelegt.
    »Ja, ich kannte sie«, sagte Marie.
    »Uwe hat sie umgebracht.«
    Marie schaute mich an. Es kam mir spöttisch vor. »Fängst du schon wieder damit an?«
    Ich war ihr nie gewachsen gewesen. So eine wie die, das war genau der Typ, an dem sich schmutzige kleine Burschen wie ich mit ihren feuchten Träumen die Zähne ausbissen. Eine Königin. Der Typ, dem man Blumen und Bewunderung zu Füßen legte. Louise hatte Recht. Meine mickrige soziale Herkunft prädestinierte mich dafür, mir das, was ich nicht haben konnte, mit Gewalt zu holen. Handgreiflichkeiten waren immer das Erste, was mir einfiel. Maulaffen gegen rhetorische Überlegenheit.
    In Maries Augen stieg ein Lächeln. Ihre Hand legte sich leicht auf meinen Arm. »Weißt du was? Ich … Ach, komm einfach mal mit.«
    »Wohin?«
    »Zum Kunstverein.«
    Das ging, das war nicht weit. Kies knirschte unter unseren Sohlen. Marie schwenkte bei

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