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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Außerdem habe ich einen Schlüssel.«
    Das Argument überzeugte die beiden wohl. Wenn sie sich auch nur zögerlich und ohne Entschuldigung abwandten, so gingen sie doch endlich unter dem Hinweis darauf, dass sie von unten Licht gesehen hätten und man ja nie wissen könne.
    Danach machten Krk und ich uns daran, Louises und Maries Büros zu durchwühlen. Ich schickte ihn in Maries Zimmer. Er war ein ordentlicher Mensch und würde Maries Ordnung achten und wiederherstellen. Außerdem erhoffte ich mir einen Fund eher in Louises Zimmer. Ich zog einen Ordner nach dem anderen aus den unteren Reihen der Regale. Ich blätterte mich durch Verträge, Abrechnungen, Briefwechsel und die Ablage von Louises eigenen Manuskripten.
    Kleine weiße Schneeflocken krisselten gegen die Fensterscheiben. Als ich gegen acht hinausschaute, trugen die klobigen schwarzen Gegenstände der Nacht bereits weiße Hütchen und Deckchen.
    In einem von Louises Ordnern, in denen sie ihre Artikel für andere Zeitungen und Zeitschriften abgeheftet hatte, sprang mir plötzlich das Wort »Masochist« in die Augen. Es gab doch kein Thema, dessen Louise sich nicht angenommen hat te. Der Text umfasste dreißig Seiten. Ich überflog ihn.
    »Warum lassen sich Männer von Frauen schlagen? Eine amerikanische Studie besagt, dass Gewalt in Beziehungen immer eine Machtfrage ist. Je größer das Machtgefälle zwischen den Partnern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Gewalt kommt. Auffällig ist jedoch, dass in den meisten Fällen nicht etwa der Teil schlägt, der objektiv, also auch außerhalb der Beziehung, überlegen ist, sondern genau umgekehrt. Frauen, die zuschlagen, sind in ihren Liebesbeziehungen meist sozioökonomisch unterlegen; sie haben eine mindere gesellschaftliche Stellung, sind schlechter ausgebildet und verdienen weniger Geld.«
    Dann hätte meine Mutter meinen Vater prügeln müssen, nicht mich.
    »Diese objektive Unterlegenheit wird dann subjektiv durch Dominanz in der privaten Beziehung ausgeglichen. Die geschlagenen Männer sind oft solche, die sich verstärkt im Haushalt engagieren. Selbst wenn der Mann draußen seinen männlichen Part spielt, Karriere macht und mehr verdient, kann er drinnen den weiblichen Part übernehmen und in erster Linie für das Haus- und Gefühlsleben zuständig sein.«
    Es waren eben doch immer die Frauen, die geschlagen wurden.
    »Wir gehen davon aus, dass die postmoderne Erotisierung der Macht bereits zu mehr Gewalt vonseiten der Frauen geführt hat und führen wird; nämlich zur eindeutig sexualisierten Gewalt, zum Sadomasochismus. Denn SM ist eine Gewalt, die hetero-patriarchale, rassistische und faschistische Oben-Unten-Strukturen zum erotischen Kult erhebt.«
    Wo um Himmels willen hatte Louise das veröffentlicht? Ich suchte nach einem Hinweis, der auf den anderen Artikeln nicht fehlte. Dabei kam ich zum Fall K.
    »K. 41 Jahre, geschieden, kinderlos, lebte acht Jahre mit einer Frau zusammen, die ihn misshandelte. ›Natürlich habe ich mir überlegt, sie zu verlassen. Einmal, als ich wegwollte, hieb Katja mir ein Bierglas auf den Handrücken. Die Scherben durchtrennten eine Sehne, und es dauerte ziemlich lange, bis die Verletzung geheilt war. Natürlich tat es ihr leid. Und sie war sehr lieb zu mir. Dann gab es wieder Spannungen. Das Schlimme: Ich sehnte mir die Explosion herbei. Ich provozierte sie, bis sie wieder zuschlug. So fühlte ich mich immer schuldig. Als ich dann mit ihr reden wollte, weil es nicht mehr so weitergehen konnte, weinte sie und drohte mit Selbstmord. Aber es wurde immer schlimmer. Ich konnte keine Kollegen mit nach Hause bringen. Freundschaften duldete sie nicht. Als ich zum Lehrerausflug mitwollte, drohte sie, mich bei den Kollegen als Masochisten anzuschwärzen. Ich erwog sogar, den Schuldienst zu quittieren und nur noch den Haushalt zu machen, in der Hoffnung, es werde besser. Sie schlug bei jeder Gelegenheit. Vor allem beim Sex. Wenn ich nicht spurte und sie nicht zum Höhepunkt kam, dann schlug und trat sie noch mehr. Schließlich flüchtete ich in den Alkohol. Das gab ihr noch mehr Kontrolle über mich. Sie nahm mir alles Geld ab. Ich durfte nicht mehr alleine einkaufen gehen. ‹«
    Ich stellte den Ordner ins Regal zurück und hoffte, er werde in der Reihe der anderen für immer verschwinden. Noch lieber hätte ich das Büro einfach abgebrannt.
    Krk kam herübergeschlendert. Er suchte Zigaretten. Als er die Hand nach meiner Schachtel ausstreckte, griff ich danach,

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