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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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genehmigte sich ein Gläschen.
    Ich schwor mir, nie wieder Calvados zu trinken, wenn ich das überlebte.
    »Soll ich noch was zu Louise sagen, oder erübrigt sich das?«, fuhr er fort. »Meine Motive dürften dir inzwischen ja klar sein, oder? Krankhafter Frauenhass verbunden mit schwerster seelischer Vorschädigung und schizoiden Wahnvorstellungen. Leider sind Leute wie ich nicht blöd. Im Gegenteil. Wenn es mich packt, dann kann ich mit Argumenten der Vernunft nichts gegen die ungeheure Logik meiner Selbstrechtfertigung ausrichten. Angst und Zorn treiben mich zu Taten, die ich einem Mädchen wie dir schwerlich erklären kann.« Er stellte das Glas ab. Ich saß immer noch in Marthas Schreibtischstuhl. Was für eine Falle er war, hatte ich vorhin erst Krk spüren lassen. »Ich sehe dir an«, sagte er, »dass du dich fragst, wieso auf einmal? Was bewegte mich, plötzlich mit dem Morden anzufangen, nach so vielen Jahren der Latenz. Eine schwierige Frage. Ich könnte sagen, dass ich den Auftrag empfing, aber das klingt zu verrückt. Ich habe darüber nachgedacht. Als du vorhin von Louises Artikel über mich anfingst, fiel es mir wieder ein. Sie hatte mich angerufen, weil sie diesen Artikel jetzt drucken wollte, und zwar in der Januarausgabe der Amazone.« Er drehte die Hände ineinander, dass die Knöchel knackten. Seine zu großen grauen Augen fokussierten mich. Er lächelte etwas. »Und was mache ich jetzt mit dir?«
    »Ob Gott das gefällt, so am Heiligen Abend«, gab ich zu bedenken.
    »Du brauchst mit mir nicht zu argumentieren wie mit einem Verrückten. Ich bin im Moment nicht auf dem Trip. Ich bin nichts weiter als ein Mörder, der seine Mitwisser beseitigt.«
    »Du wirst Spuren hinterlassen.«
    »Ein paar Fingerabdrücke, die niemand identifizieren kann.«
    Fingerabdrücke! In meiner Jackentasche befand sich die Totenliste aus dem Archiv des Anzeigers , die Krk im Samhar mit seinen Injera-Pfoten angefasst hatte.
    »Die beiden Polizisten haben dich vorhin gesehen«, sagte ich.
    Er nickte nachdenklich. »Du hast Recht. Dann sollten wir jetzt einen Spaziergang machen.«
    Er packte mich mit überraschender Schnelligkeit am Arm und zog mich aus dem Sitz. Ich sträubte mich anstandshalber. Er zerrte mich zwischen Schreibtisch und Regal hervor. Kaum hatte ich etwas Platz, gab ich seinem Zug nach, prallte gegen ihn, hieb ihm den Arm gegen die Kehle und angelte ihm mit einem Fußfeger das Bein weg. Diesmal ließ ich den Fallenden los. Er riss die Schreibtischlampe am Kabel mit zu Boden.
    Da er zwischen mir und dem Ausgang lag und keineswegs außer Gefecht gesetzt war, sondern im Begriff sich aufzurappeln, flüchtete ich in mein Büro. Ich riss die Kopien aus dem Archiv des Anzeigers aus der Innentasche meiner Jacke und warf sie auf den Schreibtisch. Die Polizei würde hoffentlich so intelligent sein, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
    Die Tür meines Büros schließen zu wollen wäre ein sinnloses, zeitraubendes Unterfangen gewesen. Ehe ich auch nur das Telefon erreicht hatte, hatte Krk mich schon von hinten gepackt.
     

29
     
    »Das war knapp.«
    »Hätten wir ihn nicht festhalten müssen, statt ihn gehen zu lassen?« Marie musterte nicht besonders erschüttert die zertrümmerte Lampe.
    »Du bist gut«, sagte ich. »Womit hätten wir ihm denn den Schädel einschlagen sollen? Mit den Telefonbüchern? Oder dem Anrufbeantworter? Nein. So ist es viel besser. Jetzt können wir ihn der Polizei überlassen, statt uns selber mit ihm herumzuschlagen.«
    »Hat er dich verletzt?« Marie wirkte fast besorgt, fast mütterlich, zumindest freundschaftlich beunruhigt.
    »Ich glaube nicht«, sagte ich. »Du bist genau im richtigen Moment gekommen.«
    Marie wandte sich zur Tür um, die fest verschlossen war. Ich hatte den Schlüssel zwei Mal im Schloss herumgedreht. Es war eine Sache von Sekundenbruchteilen gewesen. Ich hörte den Schlüssel im Schloss, rammte Krk den Ellbogen in die Rippen und stand im nächsten Moment Marie gegenüber, die in einer Wolke von Schneeluft ins Licht trat. Krk schnapp te seinen Mantel und stürzte an Marie vorbei ins Treppenhaus.
    Marie lachte. »Und ich dachte erst, ihr … ihr würdet hier … nun ja. Zugetraut hätte ich es dir ja.«
    Es war ein Anruf der Polizei gewesen, der sie aus dem bereits verschneiten Degerloch am Heiligen Abend hinab in die Stadt getrieben hatte. Die beiden Beamten hatten Vorsicht walten lassen und bei Marie nachgefragt, ob es in Ordnung sei, dass sich eine Person

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