Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

während die ersten Maschinengewehrschüsse den Hang zersieben.
    Cody hat die »Carl Gustaf« und die beiden Raketenwerfer, die einzigen Waffen, die es mit dem Panzer aufnehmen können.
    Aber Cody rührt sich nicht.
    Cody ist abwesend.
    Er ist wieder im Tangi-Tal, und Harding verblutet noch einmal in seinen Armen. Er kniet auf dem Boden neben ihm, presst sich die Hände auf die Ohren, aber er kann den Lärm nicht aussperren. Die Kugeln, die Explosionen, das Gebrüll, das Geschrei, das Hämmern seines Herzens.
    »Cody!«
    Wenn er nichts hört, kann er nicht antworten.
    Wenn er nichts sieht, ist er nicht da.
    Er macht die Augen zu.
    »Cody!«
    Willem richtet den MK auf den Panzer.
    Lädt eine HE-Granate und feuert.
    Er trifft den Turm.
    Die Platten rotieren und lenken den Schuss ab. Der Turm schwenkt auf die Männer in der Wand, das Kanonenrohr hebt sich.
    Willem schießt erneut.
    Die Kanone feuert, Flammen schießen aus der Mündung wie Feuer aus dem Maul eines Drachen.
    Erde, Steine und Felssplitter regnen auf Dave herunter, während er sich hinter einen Felsbrocken kauert. Eine Hand am Seil, die Füße gegen den Felsen gestützt, hat er Mühe, nicht zu fallen, er schaut nach oben und sieht, dass Cody noch lebt, am Abgrund hockt, die Waffen, die ihre Rettung sein könnten, über die Schultern gehängt.
    Dave sieht, dass sich der Panzerturm erneut bewegt, erneut ausrichtet. Die MGs spucken Feuer, zerfurchen den Hang. Dave stößt sich vom Felsen ab und versucht, sich wieder zu Cody die Wand hinaufzuziehen, aber so weit kommt er nicht.
    Lev feuert mit dem XM-25, aber das Schtora-System des T-90 zündet eine Aerosol-Granate, die das Geschoss ablenkt und irgendwo in der Schlucht sinnlos explodieren lässt.
    »Cody!«, brüllt Dave, während er sich die Wand hinaufhangelt. »Die Javelin!«
    Cody hört ihn, aber er will nicht.
    In seinem Kopf ertönt ein Singsang: Ich kann sie nicht retten, ich kann sie nicht retten, ich kann niemanden retten.
    Er macht die Augen auf und sieht den Panzer unter sich, der Turm sucht sein Ziel, das Kanonenrohr zeigt auf seine Freunde. Er nimmt eine Javelin von der Schulter und lädt eine Tandemhohlladung.
    Reiß dich zusammen. Reiß dich zusammen. Reiß dich zusammen.
    Eine Gewehrfeuersalve geht über seine Beine hinweg. Er spürt den Schmerz, aber er ist weit weg, er schultert die Javelin und zielt auf den Panzer.
    Lev sieht ihn.
    Er muss es schaffen, genau eine Sekunde vor Cody zu feuern, denn das Schtora kann nicht auf beide Geschosse so kurz hintereinander reagieren.
    Er feuert.
    Die Granate rast auf den Panzer zu.
    Das Schtora lenkt sie ab.
    Reiß dich zusammen. Reiß dich zusammen. Reiß dich zusammen.
    Cody drückt ab.
    Die Tandemhohlladung schießt heraus, der Wärmesucher findet den Panzer. Der erste Sprengkopf löst sich, das Schtora ist noch nicht wieder reaktionsbereit.
    Der erste Sprengkopf trifft die Panzerung des Turms und schlägt nur eine leichte Beule.
    Der Schaden ist aber groß genug, so dass das zweite Geschoss die beschädigte Bepanzerung durchstößt.
    Und im Turm explodiert.
    Dave erreicht Cody.
    »Du hast es geschafft, du …«
    Cody grinst.
    Ein sauberes Einschussloch mitten auf der Stirn.
    Der Alptraum ist vorbei.
    Aziz hat die Vernichtung des T-90 auf dem Monitor mitverfolgt.
    Nicht gerade erfreulich, aber er hat noch gut zwanzig ausgezeichnete Kämpfer im Bunker, und der Bunker selbst ist unbezwingbar. Den Angreifern wird es nicht einmal gelingen, die titanverstärkte Stahltür aufzubrechen. Und wenn doch, dann haben seine Männer längst Gefechtsstellung bezogen, sie lauern mit KORDs, Granatwerfern und Kalaschnikows, bereit, alles und jeden auszulöschen, der hier rein will. Praktisch ein Bunker im Bunker, eine tödliche Falle.
    Und im Komplex gibt es mehr als ausreichend Lebensmittel, Wasser- und sonstige Vorräte, ein Luftfiltersystem und Stromgeneratoren. Zur Not können sie sich monatelang hier verschanzen. Aber das wird nicht nötig sein – die anderenwerden bald von der Förderanlage zurück sein, und dann sitzen die Angreifer in der sprichwörtlichen Klemme.
    Trotzdem wäre Selbstgefälligkeit jetzt fehl am Platz, nicht nach all dem, was er gerade mit ansehen musste.
    Die Angreifer wirken entschlossen und sehr gut in dem, was sie machen, sie sind shayatin – Dämonen. Und dieser Collins ist iblis persönlich – der Teufel –, »aus Feuer erschaffen«, wie es im Koran heißt.
    Aziz lässt Männer zur Verteidigung des Bunkers in der Nähe des Eingangs