Vergessene Welt
Raptoren.
Levine beugte
sich zum Rücksitz und zog seinen Rucksack hervor, der auf den Boden gefallen
war. Er öffnete den Reißverschluß und holte einen kleinen silbernen Zylinder
etwa von der Größe einer Limoflasche heraus. Ein Schädel und gekreuzte Knochen
prangten auf dem Zylinder. Und darunter stand: Vorsicht: giftiges Metacholin (Mivacurium).
»Was ist das?«
fragte Thorne.
»Etwas, das sie
in Los Alamos zusammengebraut haben«, antwortete Levine. »Es ist ein nichttödliches,
lokal wirkendes Betäubungsmittel. Setzt ein kurzfristig wirksames
Cholinesterase-Aerosol frei. Lähmt jede Lebensform bis zu drei Minuten. Das
haut die Raptoren um.«
»Aber was ist
mit dem Jungen?« fragte Thorne. »Sie können das nicht benutzen. Sie werden ihn
ebenfalls lähmen.«
Levine zeigte in
die Richtung des Käfigs. »Wenn wir den Kanister auf die rechte Seite des Käfigs
werfen, weht das Gas von ihm weg und auf die Raptoren zu.«
»Vielleicht aber
auch nicht«, sagte Thorne. »Und es kann auch sein, daß er schwer verletzt ist.«
Levine nickte.
Er steckte den Zylinder wieder in den Rucksack, drehte sich nach vorne und sah
zu den Raptoren hinüber. »Und?« fragte er. »Was machen wir jetzt?«
Thorne schaute
zu dem teilweise von Farnen verdeckten Metallkäfig hinüber. Und plötzlich sah
er etwas, das ihn sich aufsetzen ließ: Der Käfig bewegte sich leicht, die Stangen
wippten im Mondlicht hin und her.
»Haben Sie das
gesehen?« fragte Levine.
Thorne
erwiderte: »Ich werde den Jungen jetzt da rausholen.«
»Aber wie?«
fragte Levine.
»Auf die
altmodische Art«, sagte Thorne.
Und stieg aus
dem Auto.
Sarah beschleunigte und jagte das
Motorrad über das schlammige Flußufer. Der Raptor war direkt vor ihnen, auf
seinem Weg zum Wasser kreuzte er diagonal ihre Bahn.
»Schneller«,
rief Kelly. »Schneller!«
Der Raptor sah
sie und änderte die Richtung. Er versuchte, Abstand zu gewinnen, aber auf dem
freien Ufer waren sie schneller. Sie kamen auf gleiche Höhe mit dem Tier, flankierten
es links. Sarah steuerte nach rechts und fuhr vom Ufer wieder auf die grasbewachsene
Ebene. Der Raptor wich ebenfalls nach rechts aus und rannte tiefer in die Ebene.
Vom Fluß weg.
»Sie haben es
geschafft«, rief Kelly.
Sarah hielt das
Tempo und kam dem Raptor langsam immer näher. Er schien den Fluß aufgegeben zu
haben und hatte jetzt keinen Plan mehr. Er lief einfach über die Ebene. Und sie
holten stetig und unerbittlich auf. Kelly war aufgeregt. Sie versuchte, den
Schlamm vom Gewehr zu wischen, und bereitete sich auf den zweiten Schuß vor.
»Verdammt!« rief
Sarah.
»Was?«
»Schau!«
Kelly streckte
sich und schaute Sarah über die Schulter. Direkt vor sich sah sie die
Apatosaurierherde. Sie waren nur noch 50 Meter vom ersten der riesigen Tiere entfernt,
die aufschrien und in plötzlicher Angst herumwirbelten. Im Mondlicht wirkten
ihre Körper grün-grau.
Der Raptor
rannte direkt auf die Herde zu.
»Er glaubt, er
kann uns entwischen!« Sarah gab mehr Gas und verkürzte den Abstand. »Schnapp
ihn dir! Jetzt!«
Kelly zielte und
schoß. Das Gewehr ruckte. Aber der Raptor lief weiter.
»Daneben.«
Die Apatosaurier
vor ihnen drehten sich um, ihre riesigen Beine stampften, die schweren Schwänze
peitschten durch die Luft. Aber zum Ausweichen waren sie zu langsam. Der Raptor
rannte direkt auf die großen Tiere zu und unter ihnen hindurch.
»Und jetzt?«
rief Kelly.
»Wir haben keine
andere Wahl!« schrie Sarah und zog mit dem Raptor gleich, während sie in den
Schatten des ersten Tieres eintauchten. Kelly sah die Wölbung des Unterbauchs,
der einen knappen Meter über ihr hing. Die Beine waren dick wie Baumstämme, und
sie stampften und drehten sich dabei langsam.
Der Raptor
flitzte zwischen den sich bewegenden Beinen hindurch. Sarah folgte ihm hakenschlagend.
Über ihren Köpfen brüllten die Tiere und drehten sich und brüllten noch einmal.
Jetzt waren sie unter einem anderen Bauch, dann im Mondlicht, dann wieder im
Schatten. Sie fuhren mitten durch die Herde. Es war wie in einem Wald aus sich
bewegenden Bäumen.
Direkt vor ihnen
klatschte ein großer Fuß mit einer Wucht auf, die die Erde erzittern ließ. Das
Motorrad hüpfte, als Sarah nach links auswich, und sie scheuerten am Bein des
Tieres entlang. »Festhalten«, rief Sarah, schwenkte noch einmal und jagte
wieder hinter dem Raptor her. Die Apatosaurier über ihnen brüllten. Der Raptor
schlug noch ein paar Haken und raste dann aus der Herde
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