Vergessene Welt
heraus.
»Scheiße!« rief
Sarah und riß das Motorrad herum. Ein Schwanz schwang tief und verfehlte sie
knapp, und dann hatten auch sie die Herde hinter sich gelassen und jagten
wieder hinter dem Raptor her. Das Motorrad sauste über die grasbewachsene
Ebene.
»Letzte Chance«,
rief Sarah. »Tu’s.«
Kelly hob das
Gewehr. Sarah gab noch einmal Gas und kam dem Raptor sehr nahe. Das Tier
wirbelte herum, um ihr einen Kopfstoß zu versetzen, doch sie wich nicht aus,
sondern schlug ihm kräftig mit der Faust auf den Schädel. »Jetzt.«
Kelly drückte
den Lauf an den Hals des Raptors und feuerte. Das Gewehr schnellte zurück und
stieß in ihren Bauch.
Der Raptor
rannte weiter.
»Nein!« schrie
sie. »Nein!«
Und plötzlich
taumelte der Raptor und stürzte kopfüber ins Gras. Sarah wich ihm aus und hielt
an. Fünf Meter von ihnen entfernt lag der Raptor zuckend im Gras. Er fauchte
und jaulte. Und dann war er still.
Sarah nahm das
Gewehr und öffnete das Magazin. Kelly sah noch fünf Pfeile.
»Ich habe
gedacht, das sei der letzte«, sagte sie.
»Ich habe
gelogen«, sagte Sarah. »Warte hier.«
Kelly blieb beim
Motorrad, während Sarah vorsichtig auf den Raptor zuging. Sarah schoß noch
einen Pfeil ab und wartete einige Sekunden. Dann bückte sie sich.
Als sie
zurückkam, hatte sie den Schlüssel in der Hand.
Auf dem Nestplatz rissen die Raptoren
noch immer an der Leiche. Aber ihr Verhalten hatte an Heftigkeit verloren:
Einige Tiere wandten sich ab, rieben sich die Schnauzen mit ihren klauenbewehrten
Pfoten und trotteten langsam zur Mitte der Lichtung.
Sie näherten
sich dem Käfig.
Thorne schob die
Plane beiseite und stieg auf die Ladefläche des Jeeps. Er überprüfte das Gewehr
in seinen Händen.
Levine rutschte
auf den Fahrersitz und ließ den Motor an. Thorne stellte sich breitbeinig hin
und hielt sich am hinteren Überrollbügel fest. Dann drehte er sich zu Levine
um.
»Los!«
Der Jeep raste
über die Lichtung. Die Raptoren bei der Leiche sahen überrascht hoch, als sie
den Eindringling bemerkten. Doch der Jeep hatte die Mitte der Lichtung bereits
hinter sich gelassen und fuhr an den riesigen Skeletten, den hoch aufragenden
Brustkörben vorbei. Dahinter bog Levine links ab und brachte den Jeep neben dem
Käfig zum Stehen. Thorne sprang heraus und packte den Käfig mit beiden Händen.
In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, wie schwer Arby verletzt war, der
Junge lag mit dem Gesicht nach unten. Levine stieg ebenfalls aus, Thorne schrie
ihn an, er solle wieder einsteigen, hob dann den Käfig und wuchtete ihn auf die
Ladefläche. Dann sprang er selbst hinauf und stellte sich neben den Käfig, und
Levine legte den Gang ein. Die Raptoren am anderen Ende der Lichtung fauchten
und rannten los, an den Riesengerippen vorbei und direkt auf den Jeep zu. Sie
überquerten die Lichtung mit verblüffender Geschwindigkeit.
Als Levine aufs
Gas trat, sprang der erste der Raptoren hoch in die Luft, landete auf der Ladefläche
des Autos und packte die Leinwandabdeckung mit den Zähnen. Das Tier zischte und
hielt sich fest.
Levine
beschleunigte, und der Jeep holperte von der Lichtung.
In der Dunkelheit des Caravans versank
Malcolm wieder in morphinisierten Träumereien. Bilder tauchten vor seinen Augen
auf: »Fitness«-Landschaften, vielfarbige Computerbilder zur Darstellung
evolutionärer Phänomene. In dieser mathematischen Welt der Gipfel und Täler sah
man Populationen von Organismen »Fitness«-Gipfel erklimmen oder in Täler der
Nichtanpassung hinabsinken. Stu Kauffman und seine Mitarbeiter hatten gezeigt,
daß hochentwickelte Organismen komplexe interne Beschränkungen aufwiesen, die
sie dafür anfälliger machten, von diesen »Fitness«-Optima zu stürzen und in
Täler zu sinken. Und gleichzeitig waren komplexe Kreaturen von der Evolution
begünstigt. Weil komplexe Kreaturen sich selbständig anpassen konnten. Mit
Werkzeugen, durch Lernen, durch Zusammenarbeit.
Aber komplexe
Tiere hatten für ihre adaptive Flexibilität einen Preis zahlen müssen – sie hatten
eine Abhängigkeit gegen eine andere eingetauscht. Sie hatten es nicht länger
nötig, ihre Körper zu verändern, um sich anzupassen, weil jetzt das Verhalten
ihre Anpassung war, also sozial bestimmt. Dieses Verhalten erforderte Lernen.
In gewisser Weise wurde bei höheren Lebewesen die Fähigkeit zur Anpassung nicht
länger über die DNS an die nächste Generation weitergegeben. Diese Funktion übernahm
nun das
Weitere Kostenlose Bücher