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Vergessene Welt

Vergessene Welt

Titel: Vergessene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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Lehren.
    Schimpansen
brachten ihren Jungen bei, wie man Termiten mit einem Stock sammelt. Ein solches
Handeln setzte zumindest Rudimente einer Kultur, ein strukturiertes soziales
Leben voraus. Aber Tiere, die in der Isolation, ohne Eltern und ohne Anleitung
aufwuchsen, waren nicht voll funktionstüchtig. Zootiere konnten sich oft nicht
um ihren Nachwuchs kümmern, weil sie nie gesehen hatten, wie es gemacht wurde.
Sie ignorierten ihre Jungen häufig oder legten sich unachtsam auf sie und
zerdrückten sie, oder sie wurden wütend auf sie und töteten sie.
    Die
Velociraptoren gehörten zu den intelligentesten Dinosauriern, und zu den aggressivsten.
Beide Eigenschaften erforderten Verhaltenskontrolle. Vor Millionen von Jahren,
in der inzwischen versunkenen Welt der Kreidezeit, war ihr Verhalten wahrscheinlich
sozial bestimmt und wurde von den älteren an die jüngeren Tiere weitergegeben.
Gene kontrollierten die Fähigkeit, solche Verhaltensmuster zu entwickeln, aber
nicht die Muster selbst. Adaptives Verhalten war eine Art Ethik; es war ein
Verhalten, das sich über Generationen hinweg entwickelt hatte, weil es sich als
erfolgreich erwiesen hatte – Verhalten, das den Angehörigen der Art
ermöglichte, zusammenzuarbeiten, in einer Gemeinschaft zu leben, zu jagen und
den Nachwuchs aufzuziehen.
    Aber die
Velociraptoren auf dieser Insel waren in einem Genetiklabor wiedererschaffen
worden. Ihre Körper waren zwar genetisch bestimmt, ihr Verhalten jedoch nicht.
Diese neu erschaffenen Raptoren kamen in eine Welt ohne ältere Tiere, die sie
hätten anleiten und ihnen richtiges Raptorenverhalten zeigen können. Sie waren
auf sich allein gestellt, und genau so verhielten sie sich auch – in einer Gesellschaft
ohne Strukturen, ohne Regeln, ohne Zusammenarbeit. Sie lebten in einer
unkontrollierten Jeder-für-sich-Welt, in der die Gemeinsten und
Heimtückischsten überlebten und alle anderen starben.
     
    Der Jeep gewann an Tempo und holperte heftig
über unebenes Gelände. Thorne hielt sich am Überrollbügel fest. Hinter sich sah
er den Raptor, der, noch immer in die Plane verbissen, in der Luft hin und her
baumelte. Levine fuhr auf das flache, schlammige Flußufer, bog rechts ab und
folgte dem Wasserlauf. Der Raptor hielt sich beharrlich fest.
    Direkt vor sich
im Schlamm sah Levine ein weiteres Skelett. Noch ein Skelett? Warum waren all
diese Skelette hier? Aber er hatte keine Zeit zum Nachdenken – er konzentrierte
sich aufs Fahren und steuerte den Jeep an den hoch aufragenden Rippenreihen
vorbei.
    Weil beide
Scheinwerfer kaputt waren, mußte er sich vorbeugen und die Augen zusammenkneifen,
um im Weg liegende Hindernisse erkennen zu können.
    Irgendwie
schaffte es der Raptor im Heck, auf die Ladefläche zu klettern. Er ließ die Plane
los, schlug die Zähne in das Gestänge des Käfigs und begann, ihn von der Ladefläche
zu ziehen. Thorne machte einen Satz auf den Käfig zu und packte ihn an seinem
Ende. Der Käfig drehte sich und warf Thorne auf den Rücken. Der Raptor spielte
eine Art Tauziehen mit Thorne – und schien zu gewinnen. Thorne umklammerte den
Beifahrersitz mit den Beinen und versuchte sich so festzuhalten. Der Raptor
fauchte; Thorne spürte die nackte Wut des Tiers, die Unerbittlichkeit seines
Ringens um die Beute.
    »Hier!« rief
Levine und streckte Thorne ein Gewehr entgegen.
    Thorne lag auf
dem Rücken und hielt den Käfig mit beiden Händen fest. Er konnte die Waffe
nicht nehmen. Levine drehte sich um und erkannte die Situation. Er schaute in
den Rückspiegel und sah, daß die anderen Raptoren sie noch immer fauchend und
knurrend verfolgten. Levine konnte also nicht langsamer fahren. Ohne das Tempo
zu verringern, drehte er den Oberkörper und richtete das Gewehr nach hinten. Er
versuchte, genau zu zielen, denn er wußte, was passieren würde, wenn er durch
Zufall Thorne oder Arby traf.
    »Aufpassen!«
schrie Thorne. »Aufpassen!«
    Levine schaffte
es, den Sicherungshebel umzulegen, und dann richtete er den Lauf direkt auf den
Raptor, der noch immer den Käfig zwischen den Zähnen hielt. Das Tier hob den
Kopf und schloß mit einer schnellen Bewegung die Kiefer um den Lauf. Es zerrte
an dem Gewehr.
    Levine schoß.
    Dem Raptor
traten die Augen aus den Höhlen, als der Pfeil in seine Kehle eindrang. Er gab
ein gurgelndes Geräusch von sich, begann zu zucken und stürzte rückwärts aus
dem Jeep – und riß im Fallen Levine das Gewehr aus der Hand.
    Thorne rappelte
sich auf die Knie hoch und zog den Käfig

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