Vergessene Welt
warum
interessierten sich die für Costa Rica?« fragte Levine.
Guitierrez
zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, aber die ganze Haltung der Forschung gegenüber
hat sich verändert, Richard. Hier bei uns ist das deutlich spürbar. Costa Rica
besitzt eins der reichsten Ökosysteme der Welt. Eine halbe Million Arten in
zwölf unterschiedlichen Lebensräumen. Fünf Prozent aller auf dem Planeten vorkommenden
Arten sind hier präsent. Dieses Land ist seit Jahren ein biologisches Forschungszentrum,
und ich kann dir sagen, die Dinge haben sich verändert. Früher waren die Leute,
die hierherkamen, engagierte Wissenschaftler, die etwas über einen Gegenstand
lernen wollten, und zwar um seiner selbst willen – ob es nun Brüllaffen,
Feldwespen oder die Sombrilla-Pflanze waren. Diese Leute hatten sich ihren Forschungsbereich
ausgesucht, weil er ihnen am Herzen lag. Reich wurden sie damit nicht. Aber
heutzutage ist alles in der Biosphäre potentiell wertvoll. Niemand weiß, woraus
das nächste Medikament entwickelt wird, also finanzieren die Pharmafirmen alle
möglichen Forschungsrichtungen. Vielleicht enthält ein Vogelei ein Protein, das
es wasserdicht macht. Vielleicht produziert eine Spinne ein Peptid, das Embolien
verhindert. Vielleicht enthält die Wachsschicht eines Farns ein Schmerzmittel.
Man merkt an allen Ecken und Enden, daß die Haltung gegenüber der Forschung
sich verändert hat. Die Leute studieren die Natur nicht mehr, sie beuten sie
aus. Das ist nichts anderes als eine Plünderermentalität. Alles Neue oder Unbekannte
ist automatisch von Interesse, weil es ja einen Wert haben könnte. Es könnte
ein Vermögen wert sein.«
Guitierrez trank
sein Bier aus. »Die Welt«, sagte er, »steht auf dem Kopf. Und Tatsache ist, daß
viele Leute wissen wollen, was diese anomalen Formen sind – und woher sie
kommen.«
Levines Flug
wurde ausgerufen. Die beiden Männer standen auf. »Aber du behältst das doch
alles für dich?« fragte Guitierrez. »Ich meine, was du heute gesehen hast.«
»Um ganz ehrlich
zu sein«, antwortete Levine, »weiß ich überhaupt nicht, was ich heute gesehen
habe. Es könnte alles mögliche sein.«
Guitierrez
grinste. »Einen guten Flug, Richard.«
»Paß auf dich
auf, Marty.«
Abreise
Mit dem Rucksack über der Schulter ging
Levine auf die Abflughalle zu. Er drehte sich noch einmal um und wollte
Guitierrez zuwinken, aber sein Freund war bereits durch die Tür und hob den
Arm, um ein Taxi zu rufen. Levine zuckte die Achseln und ging weiter.
Direkt vor ihm
war der Zollabfertigungsschalter, und davor standen Reisende, um sich ihre
Pässe abstempeln zu lassen. Levine hatte einen Nachtflug nach San Francisco gebucht,
mit einem Zwischenstopp in Mexico City, und die Schlange war nicht sehr lang.
Er hatte also vermutlich noch Zeit, um sein Büro anzurufen und seiner Sekretärin
Linda die Nachricht zu hinterlassen, daß er mit dem gebuchten Flug zurückkehre,
und vielleicht sollte er auch Malcolm anrufen. Er sah sich um und entdeckte an
der Wand rechts von ihm eine Reihe Telefone mit der Aufschrift ICT TELEFONOS
INTERNACIONAL, aber es waren nur ein paar, und alle waren besetzt. Dann benutze
ich wohl besser mein Satellitentelefon, dachte er und nahm den Rucksack von der
Schulter, und vielleicht wäre es –
Doch dann hielt
er stirnrunzelnd inne.
Er sah noch
einmal zu der Wand hinüber. Vier Personen standen in den Telefonkabinen. Die erste
war eine blonde Frau in Shorts und rückenfreiem Oberteil, die, während sie
redete, ein sonnenverbranntes kleines Kind im Arm wiegte. Daneben stand ein
bärtiger Mann in Safarijacke, der immer wieder auf seine goldene Rolex blickte.
Den dritten Apparat benutzte eine grauhaarige, großmütterliche Dame, die
Spanisch sprach, während ihre beiden erwachsenen Söhne dabeistanden und eifrig
nickten.
Der letzte war
der Hubschrauberpilot. Er hatte seine Uniformjacke ausgezogen und stand in
Hemdsärmeln und Krawatte vor dem Apparat. Er hatte das Gesicht der Wand
zugedreht und die Schultern hochgezogen.
Levine ging
näher heran und hörte, daß der Pilot Englisch sprach. Er stellte den Rucksack
ab, beugte sich darüber, als wollte er die Riemen festziehen, und horchte. Der
Pilot stand noch immer von ihm abgewandt.
Er hörte ihn
sagen: »Nein, nein, Professor. So ist es nicht. Nein.«
Er hielt inne.
»Nein«, fuhr er dann fort. »Wenn ich’s Ihnen sage. Nein. Es tut mir leid,
Professor Baselton, aber das ist nicht bekannt. Es
Weitere Kostenlose Bücher